Tiffany Duo Band 0147 (German Edition)
auf eine Antwort zu warten, machte er auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Wagen.
Fehlzündungen mit Schüssen zu verwechseln war nicht der einzige Fehler, den er an diesem Abend gemacht hatte. Er stieg in die Corvette. Was hatte er sich nur dabei gedacht, Suzanne zu küssen? Eine Falle so alt wie die Menschheit, die jede Frau benutzte, um bei einem Mann etwas Bestimmtes zu erreichen. Wie lieb und anschmiegsam sie wurden, sobald sie Männer hinters Licht führen wollten.
Aber dies war Suzanne, widersprach leise die Stimme der Vernunft. Er lachte spöttisch. Die Frau, die ihn in einem Motelzimmer allein gelassen hatte, war seine Mutter gewesen.
In seinem momentanen Zustand ließ er zu, dass Erinnerungen hochkamen, die er normalerweise unter Verschluss hielt. Immerhin würden sie ihn ablenken und das brennende Begehren in ihm abtöten.
“Bleib schön brav hier, Schatz”, hatte Corie Branson gesagt, “okay?”
“Darf ich noch ein bisschen Trickfilme sehen, Mommy?”, hatte Hart geantwortet, den Blick bereits wieder auf dem Bildschirm.
“Natürlich, Liebes. Und vergiss nie, ich habe dich lieb.” Sie zupfte die Bettdecke um seine Beine zurecht. “Gib Mommy einen Kuss.”
Es war das letzte Mal, dass er seine Mutter gesehen hatte.
Viele Stunden später wachte er auf, als die Geschäftsführerin des Motels und ein Polizist ins Zimmer kamen. Sie waren nett, der Polizist hatte Hart einen Schokoriegel gegeben, und die Frau hatte ihm über den Kopf gestrichen. Sie sagten, er brauche keine Angst zu haben, und sie halfen ihm, seine Jacke anzuziehen. Dann hatten sie ihn in ein großes Haus gebracht, wo viele andere Kinder waren.
Damals hatte er nicht begriffen, was vorging. Später erklärte man ihm, dass seine Mutter die Polizei angerufen und gesagt hatte, sie könne nicht mehr zurückkommen. Dass sie ihren kleinen Sohn trotzdem sehr lieb hatte und dass man sich bitte um ihn kümmern möge.
Es war eine gnädige Lüge, die die bittere Wahrheit überdecken und ihm Angst und Tränen ersparen sollte. Und diesen Zweck hatte sie auch erfüllt – für eine Weile.
Doch was immer die Sozialpflegerinnen und Erzieherinnen im Waisenhaus ihm auch erzählten, im Heranwachsen begriff Hart nur das Eine: Seine Mutter hatte ihn verlassen und würde nie zurückkehren.
Die Erinnerungen waren ein Kaleidoskop des Schreckens, sie machten ihm das Herz schwer. Aber wenigstens vertrieben sie die Gedanken an Suzanne aus seinem Kopf und das Verlangen aus dem Körper.
Die Behörden hatten ihn zu seiner einzigen Verwandten gebracht, einer Tante. Die hatte jedoch bereits sechs eigene Kinder und einen Taugenichts zum Mann. Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war ein weiteres Kind, noch dazu nicht einmal ihr eigenes.
Seine erste Pflegemutter war eine freundliche, großmütterliche Frau mit einem starken Hang zum Sadismus.
Die zweite liebte ihn wie ihr leibliches Kind, so glaubte er zumindest. Nach einer Weile gab er seine Abwehrhaltung auf und erwiderte ihre Liebe. Es war ein Fehler. Zwei Tage, bevor die Adoptionsurkunde unterschrieben werden sollte, machte sie einen Rückzieher. Den Grund hatte Hart nie erfahren.
Die restlichen Jahre bis zum Erwachsensein verbrachte Hart im Waisenhaus. Er schloss sich niemandem an und erwartete von keinem tiefere Gefühle.
Dann lernte er Francie kennen, verliebte sich Hals über Kopf und heiratete sie. Ein halbes Jahr später kam er eines Tages überraschend nach Haus und fand sie im Bett mit einem Freund ihres Bruders. Die Scheidung war schnell erledigt, und er betäubte sich monatelang mit Alkohol. Schließlich begrub er mit einem letzten Versuch zu überleben all seine Gefühle und ging zur Army.
Hart seufzte. Er merkte, dass selbst die unangenehmsten Erinnerungen die Qualen nicht linderten, in die Suzanne ihn immer wieder stürzte.
Ihre Aussagen über Spione, Verhöre und Verfolgung klangen absurd. Und doch, trotz seiner Zweifel und dem sogenannten gesunden Menschenverstand wollte etwas in ihm der Witwe seines Freundes glauben.
Vielleicht glaubte er ihr im tiefsten Innern bereits.
Es war albern, unprofessionell und höchstwahrscheinlich gefährlich. Er seufzte erneut. Ja, ein Teil von ihm glaubte ihr.
Minuten später bog Hart auf die schmale Landstraße ein, die zum Stützpunkt führte. Er wollte Antworten finden, also warum nicht gleich mit der Suche beginnen?
Suzanne stand auf der Veranda und sah Hart davonfahren. Noch lange, nachdem die Rücklichter bereits um die Ecke verschwunden
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