Tiffany Duo Band 0149 (German Edition)
sich an die erste Regel der Agenten: Tu nichts ohne Rückendeckung.
Heute Abend hatte sie zufällig eine gehabt. Aber was hätte alles passieren können, wenn der Maler nicht aufgetaucht wäre? Wahrscheinlich hätte Ellie die beiden Betrunkenen selbst abwehren können. Aber die Schmuggler waren aus anderem Holz geschnitzt.
Was würde geschehen, wenn sie nicht hinginge? Wie viele Monate würde es dauern, bis sie wieder ein Treffen arrangieren könnten? Und wie viele Vögel müssten in der Zwischenzeit dran glauben? Ihr Magen krampfte sich schon bei dem Gedanken daran zusammen.
Zumindest sollte ich General Reyes kontaktieren, dachte Ellie. Sie stand auf und biss sich auf die Unterlippe. General Cristobal Reyes war der Kopf der mexikanischen Behörde, die zusammen mit der amerikanischen den Schmugglern auf der Spur war. Obwohl sie ihn noch nie getroffen hatte, war er praktisch ihr Boss. Er musste benachrichtigt werden.
Er würde die Operation in die Hand nehmen, ihr sagen, dass sie unter keinen Umständen allein zu dem Treffen gehen sollte. Natürlich würde er das.
Was soll ich bloß tun? Denk nach, Ellie! Verlier nicht den Kopf …
Plötzlich lächelte sie.
Verlier nicht den Kopf.
Das hatte ihre Mutter immer zu ihr gesagt. Lucy. Genau, das war es.
Ellie setzte sich wieder aufs Bett, steckte sich ein Stückchen Schokolade in den Mund, holte ihr Telefon heraus und wählte.
Oktober war für Lucy immer eine Zeit willkommener Ruhe. Der September war ein wahrhaftig geschäftiger Monat – mit der Ernte, unzähligen Viehmärkten und außerdem Treffen der lokalen Wohltätigkeitsvereine. Jetzt konnte sie verschnaufen und sich ihrem Mann Mike widmen oder sich entspannen. So weit sie das überhaupt konnte.
Lucy genoss das Gefühl, sich wieder einmal erfolgreich gegen alles, was die Natur ihr in den Weg geworfen hatte, behauptet zu haben. Die Ernte war eingebracht, und ihr Herz klopfte ein wenig schneller, wenn sie die Wildgänse schreien hörte.
Die kraftvolle Lebensfreude der Vögel schien sich auch auf Lucy zu übertragen. Sie freute sich schon auf das Ausmisten der Scheune, auf den Geruch des frischen Heus. Sobald sie damit fertig war, würde sie das Laub zusammenharken und das Haus wieder mal gründlich sauber machen.
Ihr Mann Mike, ein Journalist, behauptete immer, dass ihre erhöhte Aktivität zu dieser Jahreszeit auf eine innere Angst vor dem Winter zurückzuführen sei. Ähnlich den Eichhörnchen, die im Herbst anfangen, Nüsse zu sammeln.
Nun ja, Mike hatte mit Wörtern zu tun, und Lucy wusste, dass er die Dinge oft mit einem analytischen Blick betrachtete. Sie wusste aber auch, dass sie in Wahrheit keine Angst vor dem Winter hatte. Das Einzige, was ihr Angst machen konnte, waren Gewitter. Und jeder, der nur ein bisschen Verstand besitzt, tut gut daran, sich vor ihnen zu fürchten, dachte sie.
In diesem Jahr jedoch löste der Herbst nicht die übliche Freude in Lucy aus. Etwas betrübte sie. Vielleicht waren es die Abende, die ihr länger als gewöhnlich vorkamen, oder die große alte Farm, die eine einsamere Atmosphäre als sonst auszustrahlen schien.
Als das Telefon klingelte, lag Lucy ausgestreckt auf dem Sofa.
Kurz zuvor hatten sie ihr Abendbrot vor dem Fernseher gegessen und sich die Nachrichten angeschaut. Mike war wieder beim Schreiben; er hatte noch seine Kolumne für die
Newsweek
fertigzustellen. Sein Computer stand im Wohnzimmer – bei Weitem das kühlste Zimmer im Haus, das im Sommer einen idealen Arbeitsplatz bot. Auch jetzt fiel das Licht durch die großen alten Eichen, die vor dem Haus standen, und ließ den Raum golden schimmern. Es war stets Lucys Lieblingszimmer gewesen – mit dem Klavier, den Familienfotos, dem weißen Kaminsims und den vielen Büchern. Und natürlich mit den altmodischen, komfortablen Möbeln.
Das Klingeln schreckte Lucy auf. Telefonanrufe um diese Zeit waren eine Seltenheit in dieser verschlafenen Ecke Iowas, wo sie lebten. Es konnte sich nur um eine schlechte Nachricht handeln, wenn jemand um diese Zeit zum Hörer griff. Sie hob das schnurlose Telefon auf und sah, wie Mike erwartungsvoll den Kopf ins Zimmer steckte.
“Mom?”
Lucy fuhr auf. “Ellie? Um Himmels willen!” Ihr mütterlicher Instinkt schlug sofort Alarm. “Was ist los?”
“Nichts, Mom. Ich wollte nur Hallo sagen.”
Lucy glaubte ihr kein Wort. “Du klingst komisch.”
“Wahrscheinlich, weil ich gerade ein Stückchen Schokolade im Mund habe. Außerdem rufe ich vom Handy an. Aber es geht mir
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