Tiffany Duo Band 0162
sie gewesen. Man konnte, gemütlich auf der Verandaschaukel eingerollt, in einem Buch schmökern, am Küchentisch das Angelspiel spielen oder in sämtlichen Schubladen der Zedernholzkommode herumkramen, die im Schlafzimmer ihrer Eltern stand und randvoll war mit Geschichten.
Diese Tage, an denen sie ihre vielbeschäftigte Mutter ganz für sich allein gehabt hatte, waren selten und wertvoll gewesen. Sie schloss die Augen, erinnerte sich an die weichen Hände, das zärtliche Lächeln, an einen Schoß, auf dem man sich so gut wie nirgends sonst einkuscheln konnte.
Ihre Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen, als sie zwölf gewesen war, ein Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Jetzt fragte Cassie sich, was ihre Mutter ihrer Tochter in Bezug auf Zack wohl für einen Rat gegeben hätte.
Dass sie ihn vergessen und nach vorn blicken sollte? Oder dass sie wieder Kontakt mit ihm aufnehmen sollte, auch wenn er das nicht wollte?
Wenn sie vor zehn Jahren gewusst hätte, wo er hingegangen war, wäre sie ihm gefolgt, das war gar keine Frage. Aber im Lauf der Jahre hatte sie sich verändert.
Diesmal wusste sie genau, wo er war – er hing immer noch auf der Lost Creek herum, weil er von Jesse die Auflage bekommen hatte, die Stadt vorerst nicht zu verlassen.
Aber wenn sie auch wusste, wo er war, konnte sie doch nicht zu ihm gehen. Diesmal nicht.
Er wollte sie nicht bei sich haben.
Sie seufzte und schaute zu, wie der Himmel weinte, und ihr Herz hätte am liebsten mitgeweint. Der Regen, den sie normalerweise liebte, verstärkte ihre Traurigkeit noch.
Es war nett von Wade, dass er ihr einen Job auf der Rendezvous gegeben hatte, aber die Lost Creek fehlte ihr. Und ihre kleine Hütte fehlte ihr auch. Ebenso wie Jean und Kip und Claire und Greta.
Am meisten aber fehlte ihr Zack.
Sie zwang sich, sich wieder auf ihre Vorbereitungen fürs Abendessen zu konzentrieren. Wades Ferienranch hatte eine weit exklusivere Klientel als die Lost Creek. Da die Suppe nicht so geworden war, wie sie gehofft hatte, musste sie sich für die Nachspeise etwas Aufsehen Erregendes einfallen zu lassen, und sie konnte nicht ihre Zeit damit verplempern, sich den Mond zu wünschen.
Wie wären Crêpes Suzette? Sie waren relativ einfach zu machen, und da sie am Tisch mit Brandy flambiert wurden, waren sie immer etwas Besonderes.
Also gut, dafür brauchte sie Brandy. Wo konnte sie den wohl finden? Sie machte in Gedanken eine Bestandsaufnahme der Vorräte, die sie im Lauf der Woche, die sie jetzt hier war, gesehen hatte. Bewahrte Wade die Spirituosen nicht in einem der hohen Küchenschränke auf?
Sie musste erst mehrere Schränke durchstöbern, bevor sie das Gesuchte fand. Da. Auf dem obersten Brett waren die Flaschen. Sie holte sich die Trittleiter und stieg hinauf, wobei sie gleich auch noch den Orangenlikör entdeckte, den sie ebenfalls benötigte.
Sie streckte eben die Hand nach der Karaffe mit dem Brandy aus, als sie hinten auf dem Brett noch etwas anderes ertastete.
Ein kleines Holzkästchen, das zwischen den Flaschen irgendwie fehl am Platz wirkte.
Das Holz fühlte sich glatt und kühl an, und als sie das Kästchen anhob, hörte sie ein Klimpern. Was mochte da drin sein? Irgendwelche Wertsachen, die ein Gast zum Aufbewahren abgegeben hatte? Familienschmuck? Ein Tagebuch?
Als sie sich an diese verregneten Tage erinnerte, an denen sie zusammen mit ihrer Mutter in der alten Zedernholzkommode herumgekramt hatte, trat an die Stelle ihrer Deprimiertheit Neugier.
Dieses Kästchen war ebenfalls aus Zedernholz, es war die Art Kästchen, in der eine Frau vielleicht Briefe aufheben würde, die ihr viel bedeuteten. Während sie den Verschluss öffnete und den Deckel hob, hatte sie plötzlich wieder den vertrauten Duft aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern in der Nase. Sie schloss die Augen und sah es vor sich, wie sie alte Fotos und bronzefarbene Babyschuhe und einen alten Kopfkissenbezug aus Spitze betrachtete, auf dem ihre Großmutter in ihrer Hochzeitsnacht geschlafen hatte.
Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass dieses Kästchen hier mit rotem Samt ausgeschlagen war, was darauf hindeutete, dass der Inhalt für irgendwen offensichtlich wertvoll war.
Aber warum? Es war zwar Schmuck, das war richtig, aber kein alter wertvoller Familienschmuck, sondern – zumindest auf den ersten Blick – nur billiger Modeschmuck. Eine auffallende Halskette, mehrere Armreifen, ein Paar lange Ohrringe.
Dann wurde ihr schlagartig klar, dass sie
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