Tiffany Duo Band 128
die Lippe. Tränen traten ihr in die weit geöffneten, fragend blickenden Augen. Evan und sie hatten einen entscheidenden Punkt erreicht. Er hatte den ersten Schritt schon getan. Nun war sie an der Reihe. Sie konnte vor ihrer Vergangenheit davonlaufen - und vor der Zukunft, die er ihr bot - oder sich beiden mutig stellen.
Evan merkte nicht, dass er die Luft anhielt, bis Lissa die Arme um seinen Nacken legte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und bot ihm die Lippen zum Kuss.
„Also gut, einverstanden. Ich ... ich bin bereit, den Versuch zu wagen, wenn du es ebenfalls bist."
Lissa wachte als Erste auf. Die frische Luft aus der Klimaanlage kühlte ihre Vorderseite. Ihr Rücken war dagegen schön warm und kuschelig an Evan geschmiegt. Langsam, um ihn nicht zu stören, zog sie den zerwühlten Bettüberwurf unter einer Pappschachtel hervor und deckte sie beide damit zu.
Trotz der vorsichtigen Bewegung knurrte Evan leise und bewegte sich etwas. Er schob einen Arm über ihre Taille und ließ ihn unterhalb ihrer Brüste liegen. Federleicht strich Lissa mit dem Finger über das feine Haar auf seinem Unterarm. Sie wollte Evan nicht wecken, sondern ihn nur berühren.
Das heftige Bedürfnis nach körperlichem Kontakt erschreckte sie. Nach der ersten stürmischen Umarmung zwischen all den Schachteln und der zärtlichen, sinnlichen, die ihr folgte, hatte sie angenommen, dass ihre Sinne befriedigt wären und sie nicht mehr von Evan Henderson wünschen könnte.
Trotzdem lag sie in der ersten Morgendämmerung still da und genoss es, ihn einfach zu berühren. Mit jedem weiteren federleichten Streicheln machte sie sich größere Sorgen.
Evan war so sicher gewesen, dass er mit den verheerenden Folgen fertig werden würde, die sie auf seine Karriere haben könnte. Vielleicht stimmte das sogar. Die Frage war nur: Konnte sie es ebenfalls?
Ob er es wahrhaben wollte oder nicht: Sie hatte seine Zukunft zerstört.
Überwältigt von dieser Erkenntnis, schob Lissa Evans Arm behutsam beiseite und stieg aus dem Bett. Sie musste unbedingt hinaus und nach denken, ohne dass er sie mit seiner allzu überzeugenden Anwesenheit ablenkte.
Sie holte frische Unterwäsche aus der schon gepackten Schachtel und zog Shorts, einen weißen, elastischen Sport-BH und ein Top an. Mit den Joggingschuhen in der Hand lief sie lautlos auf den Gang.
Kühle trockene Luft schlug ihr entgegen, als sie nach draußen trat. Der Himmel hatte sich im Osten rosa und purpurn gefärbt. Die Sonne stand über den fernen Bergen und tauchte die Wüste in ein dunstiges blaues und goldenes Licht. Sie war aber noch nicht hoch genug, um die Hitzewellen auszulösen, die später kommen würden.
Während Lissa auf der oberen Stufe saß und sich die Schuhe anzog, tauchte ein zottiger Schatten unter dem Wohnwagen auf. Wolf streckte erst das eine Bein nach hinten und dann das andere.
Im selben Moment befiel Lissa eine weitere Sorge. Was sollte aus Wolf werden, wenn sie mit Evan nach San Diego ging, was er wünschte? Der Hund und er hatten eine Art Waffenstillstand geschlossen. Trotzdem glaubte sie nicht, dass die beiden nahe beieinander leben konnten, schon gar nicht in Evans Wohnung in einem Hochhaus.
„Hallo, Großer", sagte Lissa leise und wünschte, das Verliebtsein wäre nicht so kompliziert. „Willst du mit?"
Wolfs Flanken zitterten vor Erwartung des morgendlichen Rituals. Lissa machte ein paar rasche Dehnübungen und begann, langsam in Richtung Pfad obenauf dem Kamm zu laufen.
Wolf eilte voran, schnüffelte an seinen bevorzugten Kaninchenlöchern, hob einige Male das Bein und kehrte zurück, um sich zu vergewissern, dass Lissa ihm im gewohnten Tempo folgte.
Die weite Sonoran-Wüste erstreckte sich zu beiden Seiten des Kamms bis zum Horizont. Silbrig graue Gräser glänzten im klaren Licht. Ein großer Orgelpfeifenkaktus schloss gerade seine lavendel-blauweißen Blüten für den Tag. Der Himmel versprach erneut strahlend blau zu werden.
Die Ehrfurcht gebietende Majestät der Natur half Lissa, die Dinge im richtigen Licht zu sehen. Die Ruhe der Landschaft verdrängte alles bis auf die Erinnerung an Evans Stimme, als er zugab, ebenfalls Angst zu haben.
Sie lächelte versonnen. Bei seinem muskulösen Körper von einszweiundachtzig und seinem Lächeln, bei dem die Frauen schwach wurden, hatte er wahrscheinlich ein bisschen übertrieben. Ihretwegen.
Ein Wagen parkte an der Straße einige Meilen außerhalb von Paradise. Lissa blieb keuchend stehen. Sie hatte keinen
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