Tiffany Duo Band 77
hoffen, daß die scharfen Kanten der Felsblöcke ihm zu einem schnellen, schmerzlosen, angstfreien Tod verholfen hatten.
Oh, Charlie, dachte sie und wunderte sich darüber, daß sie schon fast vergessen hatte, wie sehr es schmerzt, wenn man einen nahestehenden Menschen verliert. Mehr als alles andere auf der Welt wünschte sie sich im Moment, sich in Brians Armen verlieren zu können und zu weinen, so lange zu weinen, bis sie keine Tränen mehr hatte.
Doch gleich darauf löste sie sich von ihm.
Seit der bewußten Nacht im Hotel hatte sich etwas Grundlegendes zwischen ihnen verändert, und ganz egal, ob sie außer sich war vor Angst, oder traurig, weil sie einen guten Freund verloren hatte, sie konnte es niemals mehr zulassen, sich von ihm trösten zu lassen, so wie er sie immer getröstet hatte.
Er schien auch zu wissen, daß die Dinge anders geworden waren zwischen ihnen. Und es schien ihm nicht zu gefallen. So viel war klar.
„Es tut mir leid für dich", sagte er jetzt. „Ich weiß, daß Charlie dir viel bedeutet hat."
Sie nickte und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht.
„Shelly? Bitte, laß mich..."
Sie schüttelte den Kopf.
„Ist alles zwischen uns vorbei?" fragte er bang. „Die langen Jahre unserer Freundschaft, das, was wir miteinander geteilt haben, und das, was wir füreinander bedeutet haben. Ist dies alles ein für allemal Vergangenheit?"
Sie wollte ihm etwas erklären, etwas, das nicht erklärbar war, und weil das so war, brachte sie nichts weiter heraus als einen Seufzer. Dem ein hilfloses Schulterzucken folgte. Und schließlich drei Worte, die nicht annähernd ausdrücken konnten, wie aufgewühlt sie sich innerlich fühlte. „Es ist anders."
Er verlagerte sein 'Gewicht von dem einen Fuß auf den anderen, schluckte hart und sah so unglücklich drein, wie sie sich fühlte. „Und du kannst es nicht mehr ertragen, wenn ich dich anfasse?"
Sie senkte den Blick. Großer Gott, bitte, nicht wieder so ein Gespräch. Sie konnte es nicht mehr aushalten. Was für einen Sinn hatte es? Es führte zu nichts, und es würde die Dinge nicht besser machen. Darüber zu reden, würde alles nur noch verschlimmern, dessen war sie sich sicher,
Brian nahm ihre Hand und drückte sie zärtlich, bis Shelly zu ihm aufsah. Dann ließ er sie los.
„Ich weiß, daß du nicht über diese Nacht sprechen willst, doch..." „Nein", schnitt sie ihm rasch das Wort ab.
„Doch", fuhr er ungerührt fort, „eine Sache gibt es, die muß ich einfach wissen."
„Brian, bitte.....
„Habe ich dir wehgetan?" fragte er fast grob.
Sie wußte, was er meinte. „Nein", erwiderte sie. „Nicht körperlich. Das nicht."
Er blickte sie bestürzt an. „Es tut mir leid, Shelly, furchtbar leid.. Es tut mir so leid, daß ich gar nicht sagen kann, wie sehr."
„Ich weiß." Das war alles, was ihr dazu einfiel.
„Ich... ach, zum Teufel. Es ist jetzt nicht die richtige Zeit. Ist mir vollkommen klar."
Sie nickte. Und hoffte, daß die richtige Zeit niemals kommen würde. Es gab nichts mehr zu sagen.
„Weißt du", wechselte er jetzt das Thema, „jemand muß ins Leichenschauhaus, um Charlie zu identifizieren. Ich kann das machen. Die Polizei wollte seiner Frau die Todesnachricht überbringen, aber ich wußte ja gar nicht, in welchem Pflegeheim sie ist, doch ich dachte..."
„Ich werde selbst hinfahren", entschied sie augenblicklich. Bei dem Gedanken, Marion Williams mit einer so traurigen Nachricht gegenübertreten zu müssen, wurde ihr ganz übel. Doch dann sagte sie sich, daß, obwohl Marion gar nicht begreifen würde, worum es eigentlich ging, es noch besser wäre, wenn sie ihr das Schreckliche beibrachte, als ein Fremder.
„Ich komme mit dir."
Shelly befühlte ihre Wange; sie war naß von Tränen, und ihre Hand zitterte. „Es macht keinen Sinn, wenn du mitkommst, Marion wird sowieso nichts verstehen."
„Ich weiß."
„Charlie war ein guter Mensch."
„Ja."
„Es war kein Unfall." Sie war überzeugt davon.
„Wir werden die Wahrheit herausfinden."
Sie glaubte ihm, daß er es ernst meinte, und fand ein gewisses Maß an Trost in seinem Versprechen.
10. KAPITEL
Marion Williams war tatsächlich nicht in der Lage gewesen, zu begreifen, wovon Shelly sprach. Sie wußte nicht einmal, wer Shelly war. Sie hielt sie für ihre von den von den Toten auferstandene Tochter.
Nun saß Shelly schweigend auf dem Beifahrersitz neben Brian, starrte, durch die, Windschutzscheibe in den herabströmenden Regen hinaus und
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