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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Mein Blut bahnte sich auf schmerzhafte Weise einen Weg zurück in eingeschlafene Körperpartien. Ich zog meine Hose zurecht und stolperte in Richtung Badezimmer. Die Schlafzimmergardinen waren noch zugezogen. Das Bett war leer.
    Ich blickte auf das verlassene Bett und fühlte eine geraume Zeit nichts, keine Enttäuschung, keine Erleichterung.
    Sie hatte einen halbherzigen Versuch unternommen, das Bett zu machen und hatte Margas Nachthemd gefaltet ans Fußende gelegt. Sie musste eine Rolle Kekse in der Tasche gehabt und sie zum Frühstück im Bett verspeist haben; die Hälfte der aufgerissenen Verpackung lag auf dem Boden. Zweifellos würde ich die Krümel überall im Bettzeug finden. Das Badezimmer roch nach künstlichen Rosen, und als ich mich geduscht hatte und nach einem Handtuch griff, entdeckte ich schwache Lippenstiftspuren darauf.
    Das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte, sah ein wenig traurig aus, aber vielleicht war das normal bei Männern, die auf die fünfzig zugingen, keine normale Beziehung aufrechterhalten konnten und sich schlecht und recht durchs Leben wurstelten. Es gab keinen Grund, mich deprimiert zu fühlen, vielmehr hätte ich erleichtert darüber sein sollen, dass sich das Problem von selbst gelöst hatte. Ich war weder ein Heiliger noch ein barmherziger Samariter, weder konnte ich das Leid gestrandeter Existenzen lindern noch an der Unvollkommenheit der Welt im Allgemeinen besonders viel ändern. Hätte ihr Gesicht im Schlaf nur nicht so kindlich ausgesehen. Sie hatte nicht darum gebeten, beschützt zu werden, sie hatte noch nicht einmal darum gebeten, hineingetragen und verarztet zu werden. Ich hatte ihr Gesicht in diesem einen, unbewachten Moment der Unschuld gesehen; zu jedem anderen Zeitpunkt hätte es mir gegenüber immer nur das eine ausgedrückt, nämlich dass das Mädchen bereit war, sich für den Preis eines Drucks zu verkaufen und dass sie ansonsten niemanden brauchte. Genau wie ich.
    Ich fand ein sauberes Hemd und schlüpfte in meine Kleidung. Ich kochte Tee, stellte Toast, Käse, Marmelade und Orangensaft auf ein Tablett und trug das Ganze, zusammen mit einem Buch über Drogensucht, hinaus auf meinen Balkon auf der Rückseite des Hauses. Ich brauchte frische Luft.
    Es war ein kühler Frühjahrsmorgen. Zwischen den Garagen und Gartenhäusern streckten kränkelnde Obstbäume ihr totes Geäst in die Luft, auf dem hier und da fröhlich rosafarbene Blüten leuchteten.
    Die Vögel veranstalteten einen Heidenlärm, vor allem die Amseln mit ihren lauten Stimmen zwitscherten aus vollem Hals. Ich roch den Frühling. Ich roch ihr Parfüm. Ich stellte das Tablett auf dem Balkontisch ab und bückte mich nach den Stuhlkissen, die an der Wand neben der Balkontür standen. Als ich mich aufrichtete, fiel mein Blick auf eine leere Stelle neben den Schiebetüren im Wohnzimmer, wo normalerweise der Junge Flötenspieler hing.
    »Scheiße«, sagte ich.

2
    CyberNel quittierte meine Geschichte mit ironischen Blicken.
    »Na wunderbar, von der Sorte laufen in Amsterdam an die dreitausend herum, soviel ich weiß. Wie hat sie denn ausgesehen?«
    Ich zögerte. »Traurig.«
    Sie blickte mich forschend an und fragte nüchtern: »Geht es dir um dieses Flittchen oder um deinen geliebten Dürer?«
    CyberNel ließ sich nur selten etwas vormachen. Ich lächelte sie ein wenig unsicher an und fand, dass sie Tiffany ähnlich sah. Aber das war natürlich Unsinn. Die einzige Ähnlichkeit bestand darin, dass sie ebenfalls eine junge Frau und ungefähr gleich groß war. Im Übrigen war Nel zehn Jahre älter, und ihre Haut war nicht durch ungesunden Lebenswandel, mangelnde Pflege und fehlendes Tageslicht fahl und teigig geworden. Außerdem besaß sie keineswegs solche verschlagenen, taubengrauen Augen, die mich an das Meer im Winter erinnerten. Nel hatte fröhliche grüne Augen, Sommersprossen um die Nase und einen attraktiven, kerngesunden Körper. Nüchtern betrachtet, gab es zwischen den beiden keine Gemeinsamkeit außer ihrer Körpergröße von etwa einem Meter sechzig. Vielleicht hatte ich nur deshalb eine Ähnlichkeit gesehen, weil Nel wie Tiffany hätte sein können, wenn ihr Leben entsprechend ungünstig verlaufen und sie auf die schiefe Bahn geraten wäre. Jede hätte Tiffany sein können.
    »Es ist ein sehr wertvoller Holzschnitt«, sagte ich, »aber sie hat vermutlich nur den silbernen Rahmen gesehen, gut für genügend Heroin für ein oder zwei Schuss.«
    »Hat er nicht deiner verstorbenen Frau

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