Tiffany
danach gesucht wurde, und Angst gehabt, sich um Kopf und Kragen zu bringen, wenn er eine leere Brieftasche anbot? Er konnte aber nur dann einen Tipp bekommen haben, wenn Patty in der Nacht zuvor dem besorgten Vater Talsma nicht nur Tiffanys Adresse, sondern auch den Namen ihres Hehlers verraten hatte.
Aber das wäre noch nicht einmal nötig gewesen, überlegte ich dann. Nachdem der Mörder seinen Irrtum mit Fleur entdeckt hatte, brauchte er nur ein paar Junkies und Dealer mit einer Belohnung zu ködern, um Tiffany zu finden. Straßendealer wussten meistens, wo ihre festen Kunden ihre Diebesbeute versetzten, und falls der Mörder eine gestohlene Brieftasche suchte, war der Hehler logischerweise der Erste gewesen, bei dem er mit der Suche begonnen hatte.
Das Telefon in meinem Büro läutete.
»Okay«, sagte René. »Ich habe jemanden gefunden. Sie kommt in einer Stunde zu mir in die Praxis, und dann überlegen wir gemeinsam, was sie braucht.«
»Du bist ein Goldstück.«
Ich eilte zurück ins Schlafzimmer und packte ein paar Kleidungsstücke in eine Reisetasche, während ich mich gleichzeitig umschaute und versuchte, logisch zu denken. Der Papierkorb war leer. Sie konnte die Sachen einfach in die Gegend geworfen haben, doch außer dem Stück Papier von der Keksrolle lag nichts auf dem Boden. Ich zog Laken und Decken vom Bett und schüttelte sie aus, aber nichts fiel heraus, und es lag auch nichts auf der Matratze. Vielleicht hatte sie die Sachen auf dem Weg zum Hehler einfach auf die Straße oder in einen Mülleimer geworfen.
Ich ging auf die Knie und steckte meinen Kopf unter das Bett. Zwischen den Staubflocken entdeckte ich zwei glänzende Rechtecke. Im selben Moment schellte jemand unten an der Haustür, und ich stieß mir vor Schreck meinen Kopf an dem massiven norwegischen Fichtenholz. Ich langte nach den Rechtecken. Eine Kreditkarte und ein in Plastik eingeschweißter Ausweis mit Passfoto.
Es klingelte erneut, und ich steckte die Karten in mein Jackett, ohne sie mir näher anzuschauen. Ich griff nach der Reisetasche, spürte die Pistole unter meiner Achsel und nahm mir die zwei Sekunden, die es dauerte, die Büroklammer wieder an ihren Platz zu stecken, bevor ich die Treppe hinunterhastete. Durch das geriffelte Glas des kleinen Fensters sah ich den verzerrten Kopf eines Mannes, der sich gerade zum Gehen wandte. Der Mann drehte sich um, als ich die Tür öffnete. »Ah … Meneer Winter?«
Ein kleiner Mann in einem abgewetzten grauen Anzug, altmodisch dreiteilig, mit einer goldenen Uhrkette über der Weste. Er sah nicht aus wie ein Gerichtsvollzieher, obwohl das ältliche Fuchsgesicht und die kleinen verschlagenen Augen dazu gepasst hätten.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Vielleicht kann ich etwas für Sie tun. Ihnen ist doch etwas gestohlen worden?« Er sah, dass ich die Stirn runzelte. »Ein kleines Bild, nicht wahr? Ihre Nichte war bei mir im Geschäft.«
»Meine Nichte?«
»Ich bin in der Secondhand-Branche tätig. Da erfährt man so manches, und ich habe mich mal da und dort umgehört. Eventuell kann ich für Sie drankommen. Ihre Nichte sagte, Sie würden daran hängen.«
CyberNel. Sie brauchten mein Kennzeichnen noch nicht einmal, um hinter meine Adresse zu kommen, der Hehler war völlig ausreichend. »Ich höre«, sagte ich.
Er grinste und nickte. »Sie sind nicht der einzige Interessent«, sagte er geheimnisvoll. »Ich könnte das Bild für Sie besorgen, aber mein Kollege hat schon ein hübsches Angebot von einem Kunden aus Belgien, der sammelt diese Art von Holzschnitten.«
»Ich habe nicht viel Zeit«, unterbrach ich ihn. »Und ich kann Ihnen nicht so recht folgen.«
Er warf einen Blick auf meine Reisetasche. »Fahren Sie in Urlaub?«
»Meinen Sie vielleicht, dass ich jemand anderen überbieten muss?«
»Wenn es Ihnen das wert ist.« Seine Worte klangen doppeldeutig.
»Es ist ja nur ein Holzschnitt«, sagte ich.
Er nickte listig. »Wissen Sie, wo dieses Flittchen abgeblieben ist?«
»Welches Flittchen?«
»Die das Bild gestohlen hat. Tiffany heißt sie, nicht wahr? Da nimmt man so eine bei sich auf, und das ist dann der Dank.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er das alles von CyberNel erfahren hatte. »Und was wollen Sie von ihr?«
»Wie ich schon sagte, Sie sind nicht der Einzige, der etwas vermisst.«
Seine kleinen Augen waren auf mich geheftet. Ich verzog keine Miene. »Was wollen Sie von mir?«
Der Mann machte eine abfällige Handbewegung. »Diese Mädchen sind doch
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