Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
Vom Netzwerk:
hörte keinerlei Geräusche, keine Musik. Vielleicht schlief Joris einen Studentenrausch aus. Vielleicht dachte sie, ich sei ein homosexueller Freund von ihm. Aber seit wann interessierten sich Schwule für Nutten? Tiffany hatte erzählt, dass er ihn nicht hochgekriegt hatte.
    »Das ist nichts für Joris«, keuchte Flora hinter mir. »Ehrenamtliche Rechtsberatung? Hier ist es.« Sie öffnete die Tür und trat beiseite.
    »Es ist ja nur eine Umfrage …« Ich schwieg. Das schien das falsche Zimmer zu sein. Auf einem Sessel saß ein Riesenteddybär, an den Wänden hingen Fotos von Tom Cruise, Poster von Leonardo DiCaprio am Bug der Titanic und von Tom Cruise und Nicole Kidman in Eyes wide shut. Es stand ein massives Doppelbett darin und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hing an der Badezimmertür ein lachsfarbenes, überdimensionales Nachthemd an einem Haken. Das leise Geräusch, das ich hörte, stammte von dem Schlüssel, den sie hinter sich umdrehte.
    »Wo ist Joris?«, fragte ich.

»In Leiden.« Ihre dicken Wangen waren gerötet, entweder vom Treppenaufstieg oder vor Schreck über ihre eigene Unverfrorenheit.
    »Wenn du mir seine Adresse gibst, kann ich ihn dort aufsuchen.« Ich verspürte das unsinnige Bedürfnis, mich normal zu verhalten, obwohl die Situation alles andere als normal war.
    »Er kommt nur am Wochenende hierher«, sagte sie. »Und keineswegs immer.«
    »Nun, dann äh …« Ich ging auf sie zu. Sie blieb unerschütterlich vor der Tür stehen, nahm dann auf einmal den Schlüssel zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihn hoch, in einer spielerischen, schelmischen Bewegung, die mich an Szenen aus altmodischen Filmen erinnerte. Anschließend ließ sie ihn in den Ausschnitt ihres Kleides zwischen ihre Brüste fallen.
    Ich trat zurück. »Okay, Flora. Was soll das?«
    Sie errötete nun im ganzen Gesicht. »Was glaubst du denn?«
    »Du verdienst eine Tracht Prügel auf den Allerwertesten.«
    »Nur zu«, flüsterte sie.
    Mist. Sie war eine Auster, die ihre Beute geschnappt hatte und zwischen ihren Schalen eingeklemmt hielt. Vielleicht lag sie hier tagelang auf der Lauer, Mutter beim Friseur, Vater beim Minister, Sohn in Leiden, Tochter auf der Jagd nach Postboten und Stromablesern. Möglicherweise hatte ihr Körperumfang nichts mit einem physischen oder genetischen Defekt zu tun, sondern mit etwas – der Himmel mochte wissen, was –, das sie mit Essen zu kompensieren versuchte. Meiner Meinung nach war sie mehr als reif für den Psychiater. Sie war eine traurige Gestalt, das Ganze war traurig, aber ich konnte ihr nicht helfen. Ich musste hier weg, die Krankenschwester würde ungeduldig werden, und wer weiß, was meine andere traurige Gestalt in Margas Bauernhof inzwischen alles anstellte. Töchter.
    Das Metallfenster sah einbruchssicher aus; das Einzige, was man öffnen konnte, war ein kleineres Fenster da rüber, das jedoch zu hohe Anforderungen an meine Ge lenkigkeit stellte. Das Badezimmer war eine Sackgasse; die Tür bot den einzigen Ausweg. Sie beobachtete, wie ich mich nach einem möglichen Fluchtweg umsah. Die Speckfalten in ihrem Gesicht wechselten vor Enttäu schung die Farbe. Sex oder Gewalt, ich wusste nicht, wel ches die schnellere Methode war. Ich wollte sie nicht verletzen. Du bist schön und begehrenswert, aber ich habe leider keine Zeit?
    »Flora, gib mir den Schlüssel.« Meine Stimme klang heiser.
    Doch sie gab nicht nach und schüttelte nur den Kopf. Sie nahm ihre Brille ab und warf sie auf den Teddybären. Es sah aus wie der Auftakt zu einem Striptease. »Erst will ich meine Belohnung.«
    »Aber ich habe keine Zeit!«
    »Meinungsforscher haben immer Zeit. Ich gehe mal kurz ins Badezimmer.«
    Sie durchquerte das Zimmer und nahm das Nachthemd vom Haken. Ich setzte meinen Fuß vor die Badezimmer tür, bevor sie sie öffnen konnte. Sie stellte sich ganz dicht vor mich hin, ich spürte ihre Wärme und ihre schwere Brust auf meinem Arm. Sie war so weich wie ein warmer Vanillepudding. »Ich kann das nicht, es tut mir Leid«, sagte ich.
    »Ich weiß, dass ich dick bin«, flüsterte sie. »Aber du ahnst ja nicht … Warum lässt du dich nicht einfach fal len? Du wirst sehen, wie fantastisch …« Sie schlang die Arme um mich und drückte mich an sich. Als ich sie kräf tig gegen die Badezimmertür schubste, stieß sie einen kleinen Schrei aus.
    »Nein heißt nein«, erklärte ich unbarmherzig. »Gib mir den Schlüssel!«
    Sie schien allmählich zu begreifen, dass ich es ernst meinte. Ihr

Weitere Kostenlose Bücher