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Tiffany

Tiffany

Titel: Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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mannshohen Sockeln herunter an.
    Eine dicke Frau öffnete mir die Tür. Sie war nicht groß, nur dick. Sie hätte ebenso gut dreißig wie vierzig Jahre alt sein können. Sie hatte dunkles Haar und trug eine Hornbrille über speckigen Wangen, mehreren Doppelkinnen und strahlend weißen Zähnen hinter fleischigen Lippen. Sie atmete schwer und war in ein knöchellanges Kleid aus glänzendem Stoff gehüllt, das wohl die Figur kaschieren sollte, jedoch die Wirkung ihrer enormen Brüste, Hinterbacken und Hüften sowie den oberschenkeldicken Armen noch verstärkte. Viele dicke Leute sind fröhliche Zeitgenossen, die gutes Essen schätzen und die Unannehmlichkeiten ihres Übergewichts dafür in Kauf nehmen. Auch dieses Dickerchen lächelte mich an, als freue sie sich aufrichtig, mich vor ihrer Tür stehen zu sehen, doch hinter ihren Brillengläsern verbarg sich ein Anflug von Verzweiflung, der mich an das Klischee vom traurigen Clown erinnerte.
    »Guten Morgen«, grüßte ich. »Ich bin auf der Suche nach Joris Grimshave …«
    »Das ist mein jüngerer Bruder«, keuchte sie. »Worum geht es denn?«
    »Lex Libra«, faselte ich. »Wir führen eine Umfrage durch, um die Bereitschaft von Jurastudenten zu ermitteln, ehrenamtlich in Rechtshilfe-Beratungsstellen zu arbeiten.«
    Ich bemühte mich, nicht ihren Körper anzustarren, eine Form der Heuchelei, an die sie gewöhnt sein musste. Sie musterte mich kritisch, bevor sie mir die Hand reichte: »Ich bin Flora.«
    Ich stellte mich als John de Groot vor. Sie nahm meine Hand in ihre fleischige Schraubzwinge und zog daran. »Komm doch rein, John. Bist du verheiratet?«
    Ich runzelte die Stirn. »War ich mal, aber das ist lange her.«
    Sie ließ meine Hand los, schloss die Tür hinter mir und sagte: »Ich war zwei Jahre lang verheiratet. Jetzt wohne ich wieder zu Hause. Aber nur übergangsweise, hoffe ich.«
    Sie bewegte sich in der watschelnden, bedächtigen Weise dicker Menschen fort, indem sie zuerst die eine, dann die andere Hälfte ihres gesamten Körpers vorwärts schob. Wir betraten eine quadratische Eingangshalle, deren Wände, an denen zahlreiche gerahmte Fotos hingen, aus demselben grauen Backstein bestanden wie die Außenmauern, einem feindseligen Material, das einem die Haut von den Händen schrammte, wenn man unvorsichtiger weise daran vorbeistrich. Ein offener Gang führte an scheinend zu Wohnräumen, aber Flora wogte in Richtung der gefliesten Betontreppe, die an einer der Wände entlang nach oben führte. Sie stützte sich auf dem dunklen Holzgeländer ab, um Atem zu schöpfen und bemerkte, dass ich das gerahmte Foto eines hoch dekorierten Soldaten betrachtete, das neben einer massiven Tür gegenüber der Treppe hing.
    »Der General«, sagte sie.
    Mir begann etwas zu dämmern. »Der General?«
    »Mein Papi«, bemerkte sie spöttisch.
    Deshalb war mir der Name Grimshave bekannt vorgekommen. Ich hatte ihn in den Nachrichten gehört: Libanon, ehemaliges Jugoslawien, einer der letzten Haudegen, inzwischen Brigadegeneral – Otto Grimshave.
    »Ist er nicht zu Hause?«
    »Nein, was denkst du denn?« Es klang, als sei das doch selbstverständlich, und auch ein bisschen verschwörerisch, als wolle sie damit sagen, dass die Luft rein wäre. Aber wozu? »Er ist im Ministerium.«
    Ich fühlte mich allmählich ein wenig unbehaglich. »Und deine Mutter?«
    Sie lächelte wieder und drehte sich dann zu mir um. »Beim Friseur.«
    Sie erinnerte sich an ihre gute Erziehung und gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich vorgehen könne, als ob ich mich dafür interessieren würde, was sie unter ihrem knöchellangen Rock verbarg. Langsam erklomm ich die Stufen, um es ihr zu ermöglichen, mit mir Schritt zu halten. Wir kamen an Fotos von der Königin, dem General und Kasernengebäuden vorbei. Gemütlichkeit war hier offensichtlich ein Fremdwort.
    Hinter mir stieß Flora mühsam ihre Sätze hervor. »Frauen von Berufssoldaten verbringen ihr halbes Leben beim Friseur. Sie müssen ständig miteinander konkurrieren. Auf ihren Bridgeabenden und bei den Kameradschaftstreffen. Du hast doch kein Aids, oder?«
    »Aids?« Ich blieb stehen. Vor mir erstreckte sich ein Flur mit einem braunen Läufer und mehreren Türen. Hier waren die Wände mit einer dicken, geriffelten Tapete bedeckt.
    Flora blockierte die Treppe. Sie schwitzte und lächelte. »Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.«
    »Ich wollte mich nur mal mit deinem Bruder unterhalten«, sagte ich.
    Sie winkte mich in den Flur. Ich

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