Tiffany
wütend. Sie weiß nicht, gegen wen sie ihre Wut richten soll, auf sich selbst, auf den Täter oder vielleicht sogar auf dich, weil du sie da rausgeholt hast. Zu diesem Zeitpunkt ist ihre Wut jedoch ein hilfreiches Gefühl.«
»Also soll ich dafür sorgen, dass sie böse auf mich bleibt?«, fragte ich ironisch.
Ihre Augen blitzten kurz auf. »Sie ist ein undankbares, freches Gör, und ich verstehe, dass sie dir auf die Nerven geht. Ich komme nicht dahinter, was ihr wirklich fehlt, welche Ursache das erste Trauma hat. Sie ist, was das angeht, verschlossen wie eine Auster, und gewiss hat sie ihre Gründe dafür.«
»Eine Art Selbstschutzmechanismus«, vermutete ich.
»Genau.«
»Der aber ziemlich unangenehm für ihre Umgebung ist.«
»Manche Menschen geraten in Situationen …« Die Keereweer unterbrach sich. »Ich muss jetzt nach Hause«, sagte sie dann abrupt. Unten an der Treppe blieb sie noch einmal stehen. »Sie hat etwas Besseres verdient«, sagte sie, als wolle sie nicht aufbrechen, ohne einen positiven Schlusspunkt zu setzen. »Ich weiß nicht, was hier eigentlich genau los ist, aber hinter diesem Trauma und ihrer nervtötenden großen Klappe steckt ein ganz prima Personellen.«
Sie bog um die Ecke des Bauernhofs, eine resolute kleine Frau, das wandelnde Beispiel dafür, wie sehr ein erster Eindruck täuschen kann.
Ich versuchte, CyberNel anzurufen, die noch nichts von sich hatte hören lassen. Sie ging nicht ans Telefon. Vielleicht war es ihr nicht gelungen, das Problem mit dem Koffer alleine zu lösen und sie war zu einem ihrer Computerfreunde gegangen, um ihn um Rat zu fragen, hatte aber vergessen, ihren Anrufbeantworter einzuschalten.
Es war beklemmend, Tiffany gegenüberzusitzen, in dem Wissen, dass sie in Wirklichkeit Madelon Cornelius hieß und eigentlich Pädagogik studieren sollte. Die Adresse ihrer Eltern in Utrecht brannte mir in der Tasche, aber ich ließ sie brennen. Ich hatte keine Lust auf weitere Szenen, solange ich nicht wusste, was genau los war.
Sie trug das blaue Safarikostüm, das ich zusammen mit anderen Kleidungsstücken aus dem »normalen« Teil ihres Kleiderschrankes auf dem Hausboot geholt hatte, und mit einem Hauch von Make-up sah sie erheblich besser aus als das kranke Monster von vor ein paar Tagen.
»Gehört das Haus deiner Freundin?«, fragte sie.
Ich hatte Hunger, und das Pot-au-feu schmeckte so gut, dass es von Marga hätte stammen können. »Ist das ein Rezept von Nina oder wirst du mich noch mit ungeahnten Kochkünsten überraschen?«, fragte ich.
»Ist sie Töpferin?« Sie schien in Lästerlaune zu sein.
»Die Besitzerin dieses Hauses lebt mittlerweile in Irland.«
»Zusammen mit einem Töpfer?«
Ich legte mein Besteck hin. »Du meinst wohl, du dürftest mich alles fragen, ich dich aber umgekehrt nichts. Es reicht mir allmählich.«
»Das sind die Regeln«, antwortete sie.
»Sonst machst du mir wieder eine Szene?«
Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß ja noch nicht einmal, ob du Schach spielen kannst«, sagte ich. »Oder stricken.«
»Kannst du Schach spielen?«
»Ich kann nicht stricken«, erwiderte ich. »Das ist eine lächerliche Unterhaltung.«
»Die Mahlzeit bildet das soziale Moment«, zitierte sie. »Bist du verheiratet?«
»Ich war es einmal. Was wolltest du werden, als du ein kleines Mädchen warst?«
»Hast du eine Freundin?«
Ich schaute auf die Uhr. Viertel vor acht. Ich wurde langsam wütend. »Hör auf mit deinen Spielchen! Vielleicht sollte ich mich mit meinen Fragen besser an deinen Freund in dem besetzten Haus wenden.«
Sie gab einen verächtlichen Laut von sich. »Das ist nicht mein Freund.«
»Dann eben an diesen deutschen Junkie, wenn dir das lieber ist. Erzählst du mir von ihm, oder ist das auch ein Tabuthema?«
»Jerry hat mir mal aus der Patsche geholfen, das ist alles. Deshalb besuche ich ihn hin und wieder noch.«
»Mit Geld für Drogen?«
Wieder legte sich eine dunkle Wolke auf ihr Gesicht. »Du hast ja keine Ahnung«, sagte sie. »Lass uns nicht streiten.« Sie stand auf und fing an, abzuräumen. »Heute gibt’s übrigens kein Eis«, sagte sie spöttisch.
Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer von CyberNel. Das Freizeichen ertönte, aber wieder nahm sie nicht ab.
»Wen rufst du denn da die ganze Zeit an?«, fragte Tiffany.
»Meine Mitarbeiterin.« »Gehst du mit ihr ins Bett?«
»Das geht dich nicht das Geringste an.«
»Also ja.«
»Also nein«, fuhr ich sie an,
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