Tiffany
Zäunen lehnten, blitzblanke, neben dem Bürgersteig geparkte Mittelklassewagen und hinter den Häusern entlangführende, schmale Wege. Hier war Nachbarschaftssinn noch kein Fremdwort. Eine mollige Dame um die fünfzig staubsaugte gerade den Innenraum eines betagten Opels. Sie richtete sich auf, als ich mit meiner alten Aktentasche unter dem Arm die Straße überquerte.
»Mevrouw Hoogkamp? Ich habe mit Ihrem Mann am Telefon gesprochen …«
»Ach, Sie kommen von der Stadt nicht wahr? Mein Mann ist drinnen, gehen Sie einfach durch. Ich kann gerne Tee aufsetzen, wenn Sie möchten.«
»Sie haben doch schon genug zu tun.« Ich schenkte ihr mein freundlichstes Lächeln.
Sie erwiderte es. »Dann erledige ich erst einmal das hier, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Ich gab noch einen Scherz zum Besten und folgte der Verlängerungsschnur über den gefliesten Gartenweg bis zur halb geöffneten Haustür. Ich rief Hallo und ging durch bis zur Küche am Ende des Flures. Ein Blinder hätte erkennen können, dass ich an der richtigen Adresse war. Holzvertäfelte Wände, sauber lackierte Schränkchen und Regalböden, eine maßgeschreinerte Sitzecke und zwei dunkel gebeizte, nachträglich aufgesetzte Balken an der mit Paneelen verkleideten Zimmerdecke.
»Sie könnten ruhig mal für ein paar Wochen zu mir kommen und dort Ihrem Hobby frönen«, bemerkte ich.
Hoogkamp sah aus wie ein alter Mann, mit kurz ge schorenen Stoppeln auf beiden Seiten eines kahlen Schä dels. Sein pfeifender Atem drang mühevoll aus seinem spitzen Brustkorb hervor, als habe er zu lange und zu viel geraucht, doch sein Händedruck war noch kräftig. »Da rum hätten Sie mich vor zehn Jahren mal bitten sollen. Das hier stammt alles aus der Zeit, als wir hierher gezo gen sind. Da bekam ich noch ein bisschen mehr Luft.«
»Das sieht mir noch nach richtig guter, alter Wertarbeit aus«, sagte ich.
Er nickte. »Holz, das ist mein Material. Ich konnte alles damit machen, und ich könnte es heute noch, wenn ich nur nicht so schnell müde würde. Inzwischen besteht ja alles nur noch aus Beton und Metall. Das ist nicht nach meinem Geschmack.«
Er folgte meinem Blick hinauf zu den Balken. »Man sieht es gar nicht, stimmt’s?«, sagte er zufrieden. »Ich arbeite mit einer Dechsel, einer Art kleinem Beil. Dadurch erzielt man einen Effekt, als wäre das Holz Jahrhunderte alt. Dabei sind es einfach nur drei Bretter.« Er grinste und hustete. »Ich habe auf dem Bau gearbeitet, bis ich krank wurde.« Er klopfte sich auf die Brust. »Heute wissen wir natürlich alle, dass das Asbest daran schuld ist.«
»Dreckszeug.«
»Amen.«
Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er mir gleich noch einmal dieselben Balken, Holzvertäfelungen und Wandschränke zeigte. »Sie müssten mal unseren Wohnwagen sehen«, sagte er, als wir am Esstisch Platz genommen hatten. »Aber deswegen sind Sie ja nicht hierher gekommen. Was ist denn los mit meinem Botter?«
Vielleicht las er keine Zeitung, oder der Bericht über den Mord auf einem Hausboot war ihm ganz einfach entgangen. Die meisten Zeitungen hatten den Fall mit einem kurzen Artikel auf einer der hinteren Seiten abgetan, und das Fernsehen hatte sich, soweit ich wusste, überhaupt nicht dafür interessiert.
»Vorläufig noch gar nichts«, antwortete ich. »Es wird ohnehin noch ein paar Jahre dauern, Sie wissen ja, wie das mit städtischen Planungen so geht, aber jedenfalls hat die Sanierungskommission den Vorschlag unterbreitet, etwas an der Lijnbaansgracht zu verändern. Aus diesem Grund haben wir schon einmal mit der Inventarisierung begonnen. Von einigen Hausbooten wissen wir allerdings noch nicht einmal, wo ihre Besitzer abgeblieben sind. Das ist bei Ihnen natürlich nicht das Problem, aber wir müssen auch Informationen über die Bewohner einholen, um die Kosten für eine eventuelle Umsiedlung abschätzen zu können.« Ich öffnete meine Aktentasche und holte einen Notizblock heraus.
Er sah aus, als glaube er mir. »Eine Umsiedlung?«
»Wir können natürlich niemanden dazu zwingen; falls es überhaupt jemals dazu kommt, wird den einzelnen Leuten die Entscheidung überlassen, entweder sie ziehen mit um an den neuen Liegeplatz oder ihnen wird anderweitig Wohnraum angeboten. So sieht es die gesetzliche Regelung vor.«
»Und wo soll der neue Liegeplatz hinkommen?«
Ich lächelte ein wenig verschwörerisch. »Wenn Sie mich fragen, fällt dieser ganze Plan sowieso ins Wasser, aber sagen Sie nicht, dass Sie das von mir haben. In
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