Tiffany
der Titel eines Buches, aber was nützt einem schon ein Buch? Und was hätte der Bund daran ändern können?« Er schaute hinüber zu seiner Frau. »Nehmen Sie es mir nicht übel«, sagte er dann. »Aber man hätte einfach einen Zaun darum herum ziehen und sie sich selbst überlassen sollen. Darauf ist es letztendlich doch sowieso hinausgelaufen, nur dass zu den Opfern in Srebenica und im Kosovo noch Jan und viele andere psychisch kranke junge Männer hinzugekommen sind. Warum wollen Sie das eigentlich wissen?«
»Ihr Sohn hat versucht, Kontakt zu einem Journalisten aufzunehmen. Er hatte eine Diskette mit Beweismaterial über Kriegsverbrechen zusammengestellt, an denen ein niederländischer Offizier beteiligt gewesen sein soll. Er hatte vor, diesen Offizier öffentlich anzuklagen.«
Der alte Herr starrte mich verblüfft an. »Jan? Nie im Leben. Es tut mir Leid, so etwas über meinen eigenen Sohn sagen zu müssen, aber Jan war viel zu verstört, um irgendwelche Geschichten aufschreiben zu können, geschweige denn mit einem Computer. Wie denn auch? In seinem Wohnwagen? Er hatte dort kaum mehr als eine Ölfunzel und einen Campinggaskocher. Ich bin dort gewesen, und es war keine Spur von derartigen Aktivitäten zu sehen. Ich wünschte, es wäre wahr. Verbrechen anprangern?« Er schwieg einen Augenblick lang und seufzte nochmals: »Wenn es doch nur wahr wäre …«
»Wann hat sich der Brand ereignet?«, fragte ich.
»Letzte Woche Donnerstag.«
»Er war am Freitagmorgen mit dem betreffenden Journalisten verabredet.«
Van Nunen saß regungslos da. Irgendwo plitschte Wasser, als fielen die Tropfen einer nach dem anderen aus einer Dachrinne, aber es war nur ein undichter Hahn über einem Spülbecken hinter der Theke. Ich betrachtete den Rücken von Nel, die heute länger als gewöhnlich in ihrem Kaffee herumrührte.
»Was genau wollen Sie damit ausdrücken?«, fragte van Nunen schließlich.
Meiner Meinung nach verstand er nur allzu gut, was ich meinte. »Was hat die Polizei gesagt?«
»Dass er im Bett geraucht hätte. Sie meinten Haschisch. Im Schlaf verbrannt. In meinen Ohren klang das plausibel, auch die Sache mit dem Hasch. Jan war psychisch schwer angeschlagen. Er wurde obduziert, aber auch danach blieb man dabei, es sei ein Unfall gewesen, verursacht durch fahrlässiges Verhalten. Ich glaube immer noch, dass Sie den Falschen meinen, was diese Computerdiskette betrifft.«
»Meine Kollegin hat den Inhalt gelesen.« Er folgte meinem Blick hinüber zu Nel, die so still dasaß, dass ich anfing, mir Sorgen zu machen. »Sie enthielt einen Brief von einem Jan van Nunen an den Journalisten sowie schriftliche Aussagen, auch von anderen Dutchbat-Soldaten. Meine Kollegin wurde niedergeschlagen, und ihr Dachstudio brannte aus, bevor sie dazu kam, die Diskette gründlich durchzusehen oder gar eine Kopie davon anzufertigen.«
»Mein Gott …« Van Nunen starrte Nel an. Er wirkte fast verärgert und mir wurde klar, dass er darauf neidisch war, dass eine unbekannte Frau und nicht er selbst den Beweis vor Augen gehabt hatte, dass sein Sohn versucht hatte, seine Lethargie zu überwinden. »Wollen Sie damit sagen, dass Jans Tod womöglich kein Unfall gewesen ist?«
»Ich meine, dass dem hohen Offizier viel daran liegt, seinen guten Ruf zu wahren und nicht ins Gefängnis zu wandern. Laut Ihrem Sohn und einigen seiner Kameraden war dieser Mann an Kriegsverbrechen, an der Unterstützung eines bosnischen Kriegsverbrechers sowie an der Ermordung von Zeugen beteiligt.«
»Sie glauben also, dass mein Sohn umgebracht wurde«, stellte er mit ruhiger Stimme fest.
»Ich habe keine Beweise dafür. Die Diskette wurde inzwischen mit Sicherheit vernichtet.«
»Wer ist dieser Offizier?«
»Ein früherer Major, mittlerweile Brigadegeneral. Ich möchte seinen Namen zu diesem Zeitpunkt lieber noch für mich behalten.«
»Aber Sie werden weiter ermitteln. Warum, in wessen Auftrag?«
Was sollte ich darauf antworten? Für Nel? Für Fleur? Weil es Unrecht war? Weil es nun einmal in meiner Art lag, wie der Skorpion in der Fabel sagte, als er den Frosch, der ihn über den Fluss brachte, auf halbem Wege stach, sodass sie beide ertranken?
Die Antwort blieb mir erspart, weil die Dame sich aus ihrem Armlehnenstuhl am Kamin erhob und wie eine Schlafwandlerin hinter dem Rücken von Nel vorbei in Richtung Ausgang ging. Ihr Gesicht blieb unter dem Schleier verborgen, aber sie wirkte um mindestens zehn oder fünfzehn Jahre jünger als ihr Mann. Van Nunen
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