Tiffany
Seitenstraße des Amsterdamer Straatwegs öffnete, hatte dasselbe blonde Haar wie Tiffany sowie denselben aschfahlen Teint, doch ihre Augen waren blau und nicht grau. Ihr ovales Gesicht mochte einmal attraktiv gewesen sein, ehe es, scheinbar schon vor langer Zeit, einen permanent mürrischen Ausdruck angenommen hatte. In ihrem kurzen Rock und dem braunen Pullover wirkte sie schlampig und ziemlich dick, als habe sie irgendwann beschlossen, sich einfach gehen zu lassen. Auf den ersten Blick erkannte ich in ihr nicht die Frau auf Tiffanys Foto, aber natürlich war es auch schon recht alt.
»Mevrouw Cornelius?«
»Geht es schon wieder um die Fernsehgebühren?«
»Nein, es geht um Ihre Tochter.«
Sie richtete den Blick in die Ferne, als habe sie zehn Töchter und wisse nicht, welche ich meinte. »Sind Sie von der Polizei?«
»Mein Name ist Max Winter. Dürfte ich kurz hereinkommen?«
»Worum geht es denn? Sind Sie Sozialarbeiter?«
»Nein, ich bin Privatdetektiv.«
Wieder bekam sie einen kleinen Schrecken. »Hat es was mit Piet zu tun?«
»Piet?«
Sie verzog das Gesicht. »Pierre«, höhnte sie auf Französisch. »Das ist sein Künstlername, klingt einfach schicker. Bei ihm ist nichts zu holen, sonst würde ich selbst einen Detektiv engagieren. Gründe genug hätte ich dazu.«
»Mit Scheidungen ist kein Geld zu verdienen«, sagte ich auf gut Glück. »Sie brauchen vor Gericht ja nur zu behaupten, Ihre Charaktere seien einfach zu unterschiedlich.«
»Was Sie nicht sagen.« Sie lachte abfällig und sagte dann: »Bei Ihrer Vermisstensuche kann ich Ihnen aber leider nicht weiterhelfen.«
»Ist Ihr Mann zu Hause?«
»Nein.«
Sie wollte mir die Tür vor der Nase zumachen, aber ich stellte meinen Fuß hinein und drückte ein wenig dagegen. »Es tut mir Leid, Mevrouw, aber ich habe noch ein paar Fragen an Sie. Ich kann Sie zu nichts zwingen, aber bestimmt reden Sie lieber mit mir als mit meinen Kollegen von der Kripo, und die werden mit Sicherheit noch bei Ihnen anklopfen.«
Ihr Sarkasmus war wie weggeblasen. »Die Kripo? Aber warum denn?«
»Das hängt ganz davon ab, was ich den Kollegen berichte. Ich bin für den Staatsanwalt tätig.«
Einen Moment lang blieb sie erschrocken in der offenen Türe stehen. Der Duft von gebratenem Speck zog durch den Flur nach draußen. »Wenn es um Madelon geht, kann ich Ihnen wirklich nicht weiterhelfen. Ich habe sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen.« Sie zog eine Grimasse, als sie den Namen ihrer Tochter aussprach.
»Das ist ein bisschen zu mager für meinen Bericht«, sagte ich.
Sie zweifelte keinen Augenblick lang an meiner Befugnis und fragte noch nicht einmal nach meinem Ausweis. Stattdessen wandte sie sich trotzig um und überließ es mir, die Tür zu schließen. Ich folgte ihr in Richtung der Speckdüfte, doch auf halbem Weg zur Küche öffnete sie eine Seitentür und winkte mich ins Wohnzimmer. »Ich komme gleich«, sagte sie. »Ich hab was auf dem Herd stehen.«
Das Wohnzimmer wirkte kalt und ungemütlich, was daran liegen mochte, dass es ein bewölkter Tag war und das Licht, das von der Straße aus hineinfiel, noch zusätzlich von schweren Gardinen vor den Fenstern gedämpft wurde. Eine Couchgarnitur aus Kunstleder war um einen niedrigen Glastisch herum arrangiert. An der Wand stand ein Einbaukamin mit Backsteinumrandung, und im angrenzenden Zimmer, dessen Schiebetüren offen standen, befand sich ein Esstisch mit geradlehnigen Stühlen drum herum. Durch das Fenster am anderen Ende blickte man auf einen kleinen Innenhof mit einem Schuppen und einem Überdach aus Holz.
Fernseher und Videogerät waren in einer asphaltgrauen Schrankwand untergebracht, zusammen mit Dekorationsgegenständen und Nippes hinter Glas. In einem Regal entdeckte ich unordentliche Stapel von Notenblättern, auf denen zwei Geigenkästen lagen. Geigenmusik. Es gab nur wenige Bücher; lediglich auf dem untersten Regalbrett stand eine Reihe jener großformatigen Kunst-Bildbände, die man zu Geburtstagen geschenkt bekommt oder im Antiquariat ersteht, über den Wilden Westen, berühmte Komponisten, Vincent van Gogh oder Rom. Nirgendwo waren Fotos zu sehen, und an den Wänden hingen nur ein paar billige Kunstdrucke.
Hier hatte Tiffany also gewohnt.
Meine Eltern sind bei einem Flugzeugabsturz in Südame rika ums Leben gekommen.
Die Frau kehrte zurück. Außer den Speck vor dem Verkohlen zu retten, hatte sie sich auch ein wenig zurechtgemacht, violetten Lippenstift auf ihre geschwungenen Lippen
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