Tiger Eye
nicht. Kalte, saubere Wut war ihr weit lieber.
»Sieh mich nicht so an«, sagte sie. »Du kennst mich überhaupt nicht.«
»Ihr werdet so sein wie die anderen auch«, erwiderte Hari. »Ihr werdet mich als Spielzeug benutzen, bis Ihr sterbt oder meiner überdrüssig werdet und mich in die Schatulle zurückbefehlt.«
»Also kannst du auch in die Zukunft sehen?«, fragte sie. »Bemerkenswert. Ein Mann mit vielen Talenten.«
Hari grollte drohend. »Verspottet mich nicht.«
»Warum nicht?«, fragte Dela leise. »Erwartest du nicht genau das? War das nicht der Grund, aus dem du mir den Schlüs-sel für deine Versklavung gegeben hast? Es ist schwer, mit seinen Gewohnheiten zu brechen, und du scheinst an Schmerz reichlich gewöhnt zu sein.«
Hari verzog den Mund. »Gebt mir etwas zu tun. Befehlt etwas.«
»Was denn?« Dela schlang die Arme um ihren Leib. Sowohl um das Handtuch festzuhalten, als auch, weil sie etwas Vertrautes, einen Gegenstand, berühren wollte. »Du hast mich gefragt, ob ich jemanden umbringen möchte. Machst du so etwas?«
»Ja«, flüsterte er. »Ich töte. Ich kämpfe.«
»Und was ist mit Sex?«
Ein Schatten flog über sein Gesicht. »Ja. Auch so etwas wurde mir schon befohlen.«
Delas Magen krampfte sich vor Ekel zusammen. »Ich weiß nicht, was du beweisen willst, aber du bist nicht mein Sklave, Hari. Ich bin nicht deine Herrin. Ich werde dich niemals auffordern, etwas gegen deinen Willen zu tun.«
Hari starrte sie an. Obwohl seine Miene unbeteiligt schien, erinnerte sich Dela an seine tiefe Einsamkeit, die bittere Trauer, die ihren Verstand beinahe aufgesogen hätte. So viel Schmerz in dieser Klinge, über Jahrtausende angesammelt. War er all die Jahre über Sklave gewesen?
Und du willst , dass er dir vertraut! Ein guter Witz!
»Du glaubst mir nicht?« Delas Worte waren ein Echo von dem, was Hari zuvor gesagt hatte.
»Warum sollte ich?« Er flüsterte kaum vernehmlich, als würde all die Kraft, die in seinem Körper schlummerte, seine Stimme nicht tragen können.
»Ich gebe dir mein Wort«, bot Dela an. »Falls dir das etwas bedeutet.«
Sie betrachteten sich abschätzend, bis sich Dela gezwungen fühlte, ihr Versprechen zu besiegeln. Vor diesem Mann hatte sie keine Angst mehr. Nach allem, was sie von ihm gesehen hatte, war das unmöglich. Und nach dem Schmerz, den er verbarg, wollte sie unbedingt ihr Versprechen untermauern und ihm ihr Mitgefühl beweisen. Ihm klarmachen, dass sie ihm nicht wehtun würde. Die Ironie, die in dieser Vorstellung lag, entging ihr nicht.
Delas Hand pochte, und aus dem kleinen Schnitt sickerte Blut. Sie streckte die Hand aus und deutete auf Haris Waffen. Sie lagen mit seiner Rüstung und seinem Hemd auf dem Boden.
»Ich schwöre es bei meinem Blut«, sagte sie. Sie erinnerte sich an lange Nächte an Lagerfeuern in den Rocky Mountains, in denen sie sich mit ihrem Bruder und ihren Freunden über Loyalität und Versprechen unterhalten hatte. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass ein Versprechen ebenso ein Ritual wie eine Absichtserklärung war. Also musste man einen Vertrag unterzeichnen. Es war eine Sache, etwas einfach nur zu versprechen, eine ganz andere aber, es aufzuschreiben und mit seiner Unterschrift zu besiegeln. Das verstärkte die Ernsthaftigkeit. Hier, in diesem Fall, musste Blut genügen.
Hari blickte Dela an, als sähe er sie zum ersten Mal. Sie erwiderte seinen zweifelnden Blick und wartete.
Sie musste sich nicht lange gedulden. Hari zog einen Dolch aus der Scheide und ließ ihn in seine Handfläche schneiden. Dann hielt er Dela seine Hand hin. Sie nahm sie, und sie mischten ihr Blut.
Delas ganzer Arm kribbelte, ein kalter Schauer lief ihr über das Rückgrat hinauf bis unter die Kopfhaut. Hari blähte die Nasenflügel, seine goldenen Augen funkelten.
»Sagt es.« Seine Worte klangen wie eine Drohung und wie ein Flehen.
»Ich schwöre, dass ich dir niemals befehlen werde, etwas gegen deinen Willen zu tun. Du bist nicht mein Sklave, ich bin nicht deine Herrin. Du bist ein freier Mann, Hari.«
»Nicht ganz frei«, widersprach er heiser. »Aber es ist immerhin ein Anfang.«
Langsam ließ er ihre Hand los. Dela nahm das Handtuch vom Kopf, in das sie ihre nassen Haare eingewickelt hatte, und gab es ihm. Er zerriss den dicken Stoff mühelos in zwei Hälften, wie ein Blatt Papier. Dann verband er schnell und geschickt Delas Hand. Ohne etwas zu sagen, erwies sie ihm danach denselben Dienst.
Haris Hand war größer als ihre, viel größer.
Weitere Kostenlose Bücher