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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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verlogen, wenn du mich fragst. Wenn man offen zugeben würde, ja, ich finde junge Mädchen attraktiv, würde man auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden.«
    Nina verlor langsam an Kraft in mir; ich dachte an das Blut und die Schmerzen, die das »erste Mal« begleiteten, wie Winnie mir erzählt hatte. Winnie, meine beste, heimliche Freundin. Winnie, die mir immer so freundlich Tipps gegeben hatte, wie ich mich verbessern konnte. Während Jill auf dem Foto auf mich herabschaute, hatte ich nur noch einen Gedanken: dass sie hundertmal schöner war als ich; meine Bewegungen waren jetzt nicht mehr anmutig, meine Augen blickten stumpf, so wie die einer Kuh, wenn Nina sie nicht belebte. Peters Briefe stärkten mein Selbstwertgefühl nicht, sondern beschädigten es manchmal, obwohl das natürlich nicht seine Absicht war. Immer wieder sagte er zu mir: »Ich bin nicht dein Vater, ich bin nicht die Kinder in der Schule, die dich ärgern. Ich akzeptiere dich genau so, wie du bist.« Und wie genau war das? Diese Worte verletzten mich immer, auch wenn er sie nett meinte.
    »Peter, weißt du, worauf ich jetzt Lust habe? Dass ich mich auf den Bauch lege und du auf mir kommst.« Ich wusste, dass Peter es mit der Brandblase nicht machen würde, weil er zu viel Angst hätte, dass sie aufplatzte. Aber eben weil er es jetzt nicht wollte, wollte ich umso mehr. Außerdem wollte ich, dass er Schuldgefühle hatte, wenn er auf mir kam, damit er mich anschließend knuddeln und in den Arm nehmen und mir danken würde. Ich wusste, dass unser Tauschsystem ungerecht war, doch so bekam ich die Zuneigung von Peter, die ich brauchte, insbesondere wenn Nina nicht mehr da war.
    Er sagte: »Mit der Brandblase halte ich das für keine gute Idee.« Doch nach ein wenig Überredung ließ er das Bett herunter und legte sich auf mich. Ich schloss die Augen und fuhr mit den Fingern über die Bettdecke, als würde ich im Erdboden wühlen. Peter stand auf und streifte dabei den Becher. Die Blase platzte auf. Klare Flüssigkeit lief auf das Laken.

20
    »Das war der Teufel in mir«
    Die Zeitschriften Teen und Seventeen verkündeten die Rückkehr der sechziger Jahre, die Schaufensterpuppen auf der Bergenline Avenue trugen Oberteile mit großen bunten Blumenmustern und bodenlange Hippieröcke, die vorne mit Perlenschnüren gebunden wurden. Außerdem waren Reiterhosen, Shirts mit Schulterpolstern und breite Stirnbänder schick. Gekrepptes Haar war out, Locken waren in; ein fransiger Pony war in Mode, Haarspray total angesagt, besonders bei den Mädchen aus Jersey. Für den ersten Schultag suchte ich mir ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt und eine geblümte Latexleggings heraus und betrachtete mich in dem langen Spiegel im Elternschlafzimmer, wo ich nach all den Jahren noch immer schlief. Als Glücksbringer trug ich mein Feenamulett. Auf dem Weg zur Schule übte ich Konversation. Worüber unterhielten sich Kinder in meinem Alter? Falls mich jemand mit Peter gesehen hatte, für wen sollte ich ihn ausgeben? Für meinen Vater? Er war so alt, er hätte mein Großvater sein können.
    Ich nahm mein Stirnband ab, so dass mir der lange Pony ins Gesicht fiel. Ich hatte Angst davor, auf den Schulhof zu gehen und mein Gesicht zu zeigen, weil ich befürchtete, alle würden auf mich zeigen und rufen: »Das ist sie! Das Mädchen, das immer mit diesem alten Mann zusammen ist!«
    Die Kirche St. Augustine lag direkt gegenüber der Washington School. Hyperventilierend saß ich auf der Treppe. Ich nahm das Feenamulett ab. Die anderen würden es für altmodisch halten, es passte zum Geschmack eines alten Mannes. Ich rieb mir den Lippenstift mit einem Papiertuch ab. Die Farbe stimmte nicht: zu rot. Die anderen würden sofort wissen, dass ich Männern einen blies. Sie würden mich ansehen und sofort erkennen, dass ich eine Nutte war.
    Ich musste daran denken, wie ich bäuchlings auf dem Bett lag, lediglich ein Körper, auf den man wichste, eine Gummipuppe mit weit geöffneten, clownartigen Lippen, wie ich sie einmal in Richards Pornoheft gesehen hatte. Mein Gesicht musste hässlich sein, da konnte Peter noch so oft behaupten, es sei schön, denn sonst würde er es ja ansehen wollen, wenn er kam. Mir war klar, dass nur er so jemanden wie mich lieben konnte. Wenn ich Nina war, konnte ich die schlimmsten Sachen sagen. Selbst Peter war manchmal schockiert darüber, was ich mir so einfallen ließ. Vor kurzem hatte ich mir beispielsweise ausgedacht, dass eine Schar kleiner Feen auf der

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