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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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»Segenspender«. Den ganzen Tag zog er seine Runden durch verschiedene Bodegas und das Einkaufszentrum und legte seine Hände auf alle möglichen Gegenstände, als würde er sie segnen. Peter und ich hatten einmal beobachtet, wie er durch den Lebensmittelladen Fernandez ging und die Hände auf die Dosen mit Campbell’s -Suppe, auf Hundefutter von Alpo , auf die Jungfrau-Maria-Kerzen (die eigentlich, flüsterten wir uns zu, schon heilig sein müssten), auf einen Bodenreiniger und auf Babynahrung legte. Die Ladenbesitzer ertrugen den Segenspender. Wer weiß, vielleicht waren sie insgeheim dankbar für seine guten Wünsche. Vielleicht lag es auch daran, dass er nicht schlecht gekleidet und nicht ungepflegt war, ganz im Gegenteil lief er ziemlich geschniegelt herum, trug eine Tweedhose und einen kleinen grünen Regenschirm mit einem hölzernen Vogelkopf als Griff.
    Nach einer Weile wurde mir bewusst, dass Peter und ich für andere Leute dasselbe waren wie die Exzentriker der Gegend für uns. Andere Menschen starrten uns an und wandten sich ab. Ich merkte, dass sie miteinander flüsterten. Als ich Peter schließlich darauf ansprach, sagte er, dass Inès ihm vor kurzem geraten hatte, sich nicht so oft im Einkaufszentrum aufzuhalten oder über die Bergenline zu gehen, weil die Leute anfangen würden zu reden. Miguel und Ricky hatten allen ihren Freunden erzählt, ich sei ihre Pflegeschwester, doch die Gerüchte mussten ihnen auch zu Ohren gekommen sein.
    »Schätzchen, im Pathmark gehen die Kollegen von Inès einkaufen; alle Leute aus dieser Gegend kaufen da ein. Und ich weiß ganz genau, dass Supermärkte Brutstätten von Gerüchten sind. Die ganzen gelangweilten Hausfrauen. Haben nichts Besseres zu tun, als zu tratschen«, sagte Peter, als er den Philodendron in seinem Zimmer goss. »Ich denke, Inès hat recht. Wir müssen unsere öffentlichen Auftritte einschränken.«
    »Was sagt Inès denn zu uns? Glaubst du, sie weiß Bescheid?« Ich nahm an, dass sie inzwischen dahintergekommen sein musste.
    Peter schüttelte den Kopf. »Ich sage ihr immer, wie dein Vater dich fertigmacht. Sie hat sogar gesagt: ›Wenn es bei ihr zu Hause zu furchtbar ist, kann sie von Glück sagen, dass sie herkommen kann.‹ Sie versteht, dass ich für dich so was wie ein Vater bin. Für sie ist das nichts anderes, als wenn Miguels und Rickys Freunde herkommen. Sie mag es nur nicht, wenn wir uns anschreien. Das ist das Einzige, was sie stört. Abgesehen davon: Was soll sie schon sagen?«
    »Glaubst du, Inès hat das Gefühl, sie muss sich mit mir abfinden? So als wäre ich ein Problem?«
    »Naja, sie hat mal gesagt, dass du leiser sein könntest, wenn du die Treppe hochkommst. Und dich im Ganzen ein bisschen zurücknehmen könntest. Manchmal, wenn du aufgeregt bist, kicherst du wirklich laut. Und sie hat etwas über deine Kleidung gesagt. Ich weiß nicht mehr genau, hast du letztens ein rotes T-Shirt angehabt, auf dem ›Sexy‹ stand? Sie fand das nicht sehr passend.«
    »Sie hasst mich.«
    »Sie will nur, dass du dich ein bisschen zurücknimmst, Margaux.«
    »Warum sagst du ihr nicht, Richard müsste sich mal zurücknehmen?«
    »Weil ich von ihr abhängig bin, nicht andersrum. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn sie mich vor die Tür setzen würde.«
    Peter rückte das Pflanzenlicht über dem Philodendron zurecht und goss dann die Blumen in seinem Terrarium. »Weißt du, im Moment ist es vielleicht nur Gerede, aber das kann schlimmer werden. Ich wollte dir das eigentlich nicht erzählen, aber vor ein paar Wochen kam ein Mann auf mich zu. Es war sehr beängstigend; er hat mich beschimpft …«
    »Was hat er gesagt?«, wollte ich wissen. Ich setzte mich im Bett auf und zog die Knie an die Brust.
    »Kinderschänder«, sagte Peter und schloss den Deckel des Terrariums.
    ***
    Wir waren in Peters Zimmer und sahen zu, wie Paws an einem Knochen nagte. Auf einmal sagte Peter: »Warum hast du das gerade gesagt?«
    »Was?«
    »Du hast gerade gesagt: ›Wenn der Knochen doch dein Gesicht wäre.‹ Einfach so.«
    »Kann mich nicht erinnern.« Das stimmte nicht ganz. Ein bisschen konnte ich mich daran erinnern, aber es war mir einfach so rausgerutscht. Ich dachte an den Tag, als Miguel auf der Treppe gestanden hatte, an meine Verärgerung damals, besser gesagt: an meinen Zorn.
    »Du kannst dich nicht erinnern?«
    »Nicht so richtig.«
    Peter seufzte. »Dann war es wohl jemand anders. Ein dämonisches Wesen. Das ist mir auch schon mal

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