Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
Beste für sie oder nicht. So einfach ist das. Wenn sie so stur bleibt, könntest du dich ja vielleicht weigern, mit ihr in die Spielhalle zu fahren. Da seid ihr doch manchmal, oder?«
»Ja, stimmt.«
»Das weiß ich, weil ich beim Waschen einen Chip in ihrer Hosentasche gefunden habe. Ich bin nämlich ihr Sklave. Sie ist fünfzehn und führt sich auf wie die Königin von Saba. Mal sehen, wie ihr die Besserungsanstalt gefallen wird. Wenn ich die Polizei rufe und sie in ein Heim für jugendliche Straftäter gebracht wird …«
Ich stand auf: »Ruf doch die Polizei! Du willst bestimmt, dass alle sehen, wie sie mich strampelnd und schreiend aus dem Haus tragen! Weil es mir nämlich egal ist! Mir ist egal, wie das aussieht! Ich bin nicht so wie du! Mir sind diese Nachbarn scheißegal!«
»Weißt du was, ich gehe jetzt zur Arbeit. Ich bin fertig mit dir! Ich werde das Geld auf die Küchentheke legen, und damit hat es sich! Geh mir von jetzt an aus dem Weg! Ich will nichts mehr von dir hören! Von jetzt an schleichst du auf Zehenspitzen die Treppe runter! Wenn du mit deiner Mutter redest, dann flüsterst du! Wenn du telefonierst, gehst du in ein anderes Zimmer! Ich will deine Stimme nicht mehr hören! Ich will nicht mehr wissen, dass du existierst! Du bist von jetzt an gelöscht! Hast du verstanden? Für mich bist du tot!«
***
Poppa hielt Wort und redete nicht mehr mit mir, noch half er bei dem Antrag auf Genehmigung, mich zu Hause unterrichten zu lassen. Meine Mutter und Peter kümmerten sich um alles, tätigten die notwendigen Anrufe und erwirkten schließlich die Diagnose einer »Schulphobie«, die es mir erlaubte, mich kostenlos zu Hause von Highschool-Lehrern unterrichten zu lassen. Englisch und Erdkunde übernahm ein Paar von Mitte sechzig. Ich stellte fest, dass ich mich auf den Besuch von Mr. und Mrs. Bernstein derartig freute, dass ich mich nett anzog, wann immer sie kamen, und sogar meine Fingernägel frisch lackierte, anstatt sie wie bei den ersten beiden Treffen im Nachthemd zu empfangen. Ich trug sogar das grau-schwarz-rot gestreifte Kleid, das ich geschworen hatte niemals anzuziehen. Als ich im Spiegel einen Blick auf mich im Kleid erhaschte, das Haar zum Zopf hochgebunden, fand ich, dass ich selbst wie eine junge Lehrerin aussah. Unter der persönlichen Betreuung meiner Lehrer blühte ich auf und bekam fast überall die besten Noten. Mommy wies Poppa darauf hin, aber der hob nur die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.
***
Poppa machte immer noch meine Wäsche, und wenn ich einen Teller auf dem Küchentisch oder über Nacht auf dem Boden im Schlafzimmer stehen ließ, war er am nächsten Morgen weggeräumt. Wenn ich Zeitschriften oder Bücher auf dem Küchentisch liegen ließ, rührte er sie nicht an, beschwerte sich aber am nächsten Tag bei meiner Mutter darüber, und sie gab die Mahnung an mich weiter. Ich begann, verschiedene Sachen im Wohnzimmer zu lagern: alte Schulbücher, benotete Klassenarbeiten, Taschenbücher, Spiralblöcke mit Erzählungen und Kurzgeschichten und alte Ausgaben der Cosmopolitan . Außerdem ließ ich Kleidungsstücke auf einem Stuhl im Wohnzimmer liegen. Wenn sie in die Wäsche wanderten, ergriff Poppa die Gelegenheit, sie zu falten und in Schubladen zu legen, doch nach einiger Zeit landeten sie wieder auf dem Stuhl. Er sagte nie ein Wort dazu.
Unsere einzige Kommunikationsform waren Zettel. Ich schrieb den ersten, als ich Geld für neue Turnschuhe brauchte. Er legte mir jedoch kein Geld hin, und als ich meine Mutter nach dem Grund fragte, sagte sie, ich hätte einen ausgerissenen Zettel verwendet, das hätte er respektlos gefunden. Also schrieb ich die Nachricht noch einmal neu auf ein sorgfältig ausgeschnittenes Rechteck aus dem Notizblock, und am nächsten Tag lagen drei neue Zwanziger auf der Küchentheke. Von da an bewahrte Poppa mir Essensreste in Tupperdosen auf. Dann lag für mich morgens ein Zettel auf dem Küchentisch, auf dem stand: »Spaghetti essen« oder »Gefüllte Paprika: rechte Seite, hinter der Milch«. Manchmal ließ er sogar Scheiben von Cantaloupe-Melonen, Avocados, Wassermelonen oder Mangos auf einem Teller im Kühlschrank zurück.
***
Ich wurde sechzehn und war noch immer Jungfrau. Meinem Wunsch entsprechend hatte Peter es versucht, doch jedes Mal hatten sich meine Scheidenmuskeln unwillkürlich verkrampft, so dass er nicht hatte eindringen können. Um mich zu entspannen, versuchte ich es mit Lorazepam und Klonopin, das Peter im
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