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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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damit ich nicht die Lust verlor, und natürlich half ich ihm, die Tiere zu füttern und zu versorgen. Peter erlaubte mir sogar, die Leguane anzufassen, obwohl er sonst befürchtet hatte, dass sie mich im Gesicht kratzen könnten. Doch jetzt, sagte Peter, sei ich fast acht Jahre alt und würde langsam reifer und verantwortungsbewusster. Er wisse, dass ich so weit sei. Ich musste dicke schwarze Handschuhe anziehen, die wie Boxhandschuhe aussahen, und dann reichte er mir eine der weisen alten Echsen, die absolut reglos dasaß, während ich sie vorsichtig streichelte. Es gibt ein Foto von mir, das damals gemacht wurde: Ich senke den Kopf, schwarze Strähnen fallen mir in die Augen, die Echse hebt ihren dornigen Kopf, ihre Klaue umklammert liebevoll mein Hosenbein – ein uraltes Baby, das mit seiner sensiblen Haut meine sanften Fingerspitzen selbst durch die dicken Handschuhe spürte.
    Außerdem arbeiteten wir an einem Puzzle mit tausend Teilen. Jedes Mal, wenn einer von uns ein Teil fand, gab Peter mir rasch einen Kuss auf die Lippen, nachdem er sich vergewissert hatte, dass uns niemand sah. Manchmal kamen nämlich Miguel und Ricky in die Küche und holten sich etwas zu essen, doch zum Glück waren sie immer laut, genau wie meine Mutter, die beim Gehen schlurfte. Peter sagte, es sei wichtig, dass uns niemand beim Küssen sähe, weil die Leute inzwischen so seltsam wären; heutzutage sei jede sichtbare Art der Zuneigung verdächtig; zu seiner Zeit, als er klein war, küssten Väter ihre Töchter ständig auf die Lippen.
    ***
    An einem Freitag im Januar, als draußen eine Eiseskälte herrschte, bekam ich vor Peter meinen ersten Wutanfall.
    »Ich halte es nicht mehr aus hier drinnen! Ich habe die Nase voll! Ich hasse den Winter!« Ich schaute aus dem Wohnzimmerfenster nach draußen, wo Miguel und Ricky Skateboard fuhren und, schlimmer noch, nicht einmal Mäntel trugen. »Guck dir die blöden Jungs an, die dürfen das ganze Jahr über draußen sein und bekommen keine Erfrierungen. Ich glaube, Erfrierungen gibt es gar nicht, das ist nur eine gemeine Geschichte, die man Mädchen erzählt, damit man sie einsperren kann! Ich will einfach nur in den Park! Ich will einfach nur schaukeln! Ich will! Ich will! Ich will!« Ich stampfte mit dem Fuß auf.
    Meine Mutter sah zu Peter hinüber, ohne ein Wort zu sagen.
    Peter sagte: »Margaux, ich habe eine tolle Idee. Komm mal mit!«
    Ich folgte ihm die gewundene Treppe hinunter und berührte im Vorbeigehen jeden goldenen Schlüssel. Das tat ich jedes Mal, wenn ich die Treppe hoch- oder runterstieg. Als wir im schmalen Gang an der Tür zur unteren Wohnung vorbeigingen, wurde ich ganz aufgeregt. Wir kamen an eine zweite Tür aus ungestrichenem Holz, die Peter mit einem kleinen silbernen Schlüssel aufsperrte. Er griff nach einer langen Schnur unter der Decke, und als eine nackte Glühbirne aufleuchtete, winkte er mir, ich solle ihm folgen.
    »Halt dich am Geländer fest!«, warnte er, doch das begann erst auf halber Höhe der kleinen Treppe. Die Stufen fühlten sich an, als seien sie aus altem Weichholz, leicht wackelig, und ich musste an Planken auf einem Piratenschiff denken. Als Peter unten ankam, zog er an einer zweiten Schnur und schaltete eine andere Glühbirne ein.
    »Es werde Licht! Und, was meinst du? Ein riesiges Durcheinander, nicht? Inès ist eine Sammlerin; sie kann nichts wegwerfen. Sie hat immer noch die alten Sachen ihres Mannes. Zum Beispiel die Mokassins, die er trug, als sie zusammen in Woodstock waren.«
    Ich schaute mich um. Zwei Motorräder, mehrere verrostete Fahrräder, Skier, einige Regenschirme, ein Kühlschrank, Strandstühle, aufgeklappte Werkzeugkästen mit Nägeln, Schraubenziehern und Nieten. Aufgestapelt auf dem Boden waren staubige Bücher; überall standen Kisten, Kartons und Truhen, die mich neugierig machten. Doch bevor ich irgendetwas untersuchte, sprang ich auf den Ledersitz eines Motorrads, griff nach dem Lenker und machte: »Brumm, brumm, brumm.«
    »Ich muss das Ding diesen Sommer wieder ans Laufen bekommen, dann können wir zusammen fahren. Willst du mit mir fahren?«
    »Wenn meine Mutter es erlaubt. Brumm, brumm, brumm.«
    »Ich glaube, das tut sie. Deine Mutter ist zwar sehr besorgt um dich, aber ich glaube, ich kann sie überreden.«
    Im Keller war es so kalt, dass ich dankbar für den Zopfpulli war, den anzuziehen meine Mutter mich gezwungen hatte. Ich war noch nie in einem Keller gewesen. Er roch feucht und muffig und erinnerte mich irgendwie

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