Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
Schlafzimmer vor dem kleinen Apparat aus der alten Wohnung zu liegen. Wir hatten unser altes Telefon mit der Wählscheibe zurückgelassen und ein neues Tonwahlgerät bekommen, dessen Tasten aufleuchteten, wenn man darauf drückte, doch mir fehlte das Geräusch der sich drehenden Wählscheibe. Sie hatte wie Schlittschuhkufen auf unberührtem Eis geklungen und erinnerte mich daran, wie Poppa mit mir zum Rockefeller Center gefahren war, um den Eisläufern zuzusehen.
Eines Tages hörte ich, wie Mommy am Telefon sagte, sie hätte gedacht, wir würden in unserem gemütlichen Einfamilienhaus im Kolonialstil glücklicher sein, als wir es in der engen, kakerlakenverseuchten Wohnung gewesen waren, doch dem sei nicht so, und sie wisse nicht, warum. Sie hatte recht: Seit wir in dem Haus wohnten, schien Poppa immer öfter dreistündige Tobsuchtsanfälle zu bekommen, und obwohl Mommy nun ein ganzes Haus zum Herumlaufen hatte, lag sie mit ihrem Radio oder Plattenspieler nur in einem Zimmer. Poppa hatte nun noch mehr sauber zu halten, er hatte noch mehr Verantwortung dafür, wie es überall aussah. Wenn auch nur ein Tropfen Wasser auf den Boden im Badezimmer gelangte, schrie er, die Fliesen würden sich lösen. Das war eine seiner großen Sorgen. Deshalb verlangte er von uns, nach dem Duschen aufzuwischen. Anschließend wischte er selbst noch mal nach, wobei er die ganze Zeit schimpfte, wie teuer es würde, den ganzen Boden neu fliesen zu lassen. Er verbot uns, tagsüber zu baden, da er dann nicht auf die Fliesen achten konnte.
In jener Zeit bekam Poppa auch auf der Arbeit mehr Probleme als sonst, und seine besonders schlechte Laune führte noch öfter zu Schimpftiraden über Vera, die Schwester meiner Mutter. Sie war die Frau, die er immer als »die Schlampe in Connecticut« bezeichnete. Meine Mutter hatte zwei Schwestern: die drei Jahre ältere Vera und meine geliebte Tante Bonnie, Mommys Zwillingsschwester, die in Ohio lebte.
Nachdem wir an einem verregneten Tag den Film Sein Freund Yello geschaut hatten, der Peter und mich jedes Mal zum Weinen brachte, saßen wir traurig im Wohnzimmer. Meine Mutter wollte uns aufheitern und forderte mich auf, den Wutanfall von Poppa nachzuspielen, als er am Wochenende aus der Kneipe nach Hause kam und direkt mit dem Thema »Tante Vera« loslegte. »Pass auf, Peter!«, sagte Mommy. »Margaux ist besser als jeder Stegreif-Komiker!«
Ich stellte mich hin. »Na gut, aber ihr dürft nicht lachen, sonst muss ich auch lachen, und dann kann ich nicht mehr weitermachen. Also, es geht los: Diese alte Hexe in Connecticut, sie verachtet uns, weil sie in diesem schicken Haus in Luxus lebt, und ich habe sie mal eingeladen, aber sie ist nicht gekommen! Sie hatte eine dumme Ausrede, irgendeinen an den Haaren herbeigezogenen Grund, aber ich wusste, dass sie keinen Fuß nach Union City setzen wollte! Ich hoffe, sie stirbt an einer tödlichen Krankheit! Ich hoffe, sie stirbt heulend im Bett! Sie verachtet mich! Sie meint, sie ist zu fein für meine Kochkünste! Überhaupt: Ich kenne diesen Typ Frau; sie hat Französisch nicht aus Liebe zur Sprache gelernt, sondern um diesen reichen Banker zu becircen! Da hocken sie in ihrem Haus – die Schlampe und der Banker in dem kalten Haus – ich schwöre, dass sie die Heizung runtergedreht hatte, als wir zu Besuch waren, damit wir nie wieder kommen! Ich kann solche Menschen nicht verstehen! Ich habe Französisch und Deutsch aus Liebe zur Sprache, zur Kultur und zum Essen gelernt! Ich achte die europäische Kultur! Ich liebe die Franzosen! Dann hat sie so getan, als könnte sie Flöte spielen, nur um den Banker anzulocken, nicht weil sie Musik im Blut hat; ich kann so falsche Menschen nicht ausstehen! Ich habe spanische Dichter gelesen, weil ich sie schätze; ich höre Musik, weil ich sie liebe! Ich will euch mal was sagen: Wenn ich in der Hölle schmoren muss, wird es sich lohnen, allein schon weil ich die Schlampe da unten bei mir in den Flammen sehe! Denn da wird sie sein, das garantiere ich! Das garantiere ich!« Lachend warf ich mich auf den Boden.
»Margaux sollte Schauspielerin werden«, sagte Peter mit einem leuchtenden Staunen im Gesicht.
»Wenn es um Parodien geht, hat sie auf jeden Fall Talent«, sagte Mommy. »Weißt du, so sehr sich mein Mann auch über Vera beschweren mag, sie hat uns in einer Zeit geholfen, als wir es dringend nötig hatten. Sie hat sich in den ersten beiden Monaten um Margaux gekümmert, als ich im Krankenhaus war. Damals wurde ich zum
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