Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
auf der 29th Street, gegenüber dem Depot der Verkehrsbetriebe NJ Transit . »Möchtest du Chips?«
Im Geschäft kaufte sich Poppa Schinkencracker, eine Tüte La Dominica -Bananenchips und Maniok-Chips. Für mich holte er Vanillewaffeln und eine Zitronenlimonade. Bevor wir wieder in den Chevy stiegen, hob Poppa mein Kinn an und sagte: »Ich trauere um den Tag, wenn du eine Frau wirst. Die Männer hier haben keinen Respekt, sie jaulen und johlen wie eine Horde Paviane, sobald eine Frau vorbeikommt; ich weiß nicht, aus was für Familien sie stammen. Auch wenn wir umziehen – solche Tiere wird es dort auch geben. Überall in dieser Stadt gibt es Wilde. Ich würde lieber in einen Vorort ziehen.«
Als wir uns Rubber Soul von den Beatles anhörten, wurden wir melancholisch. Bei dem Lied Run for your Life sang Poppa mit und schlug mit beiden Händen aufs Lenkrad. Als die Kassette zu Ende war, erklärte er mir, dass das Lied von einem eifersüchtigen Mann handelte, der vermutete, dass seine Freundin fremdging; er warnte sie, wenn er sie mit ihrem Liebhaber erwischte, würde er sie umbringen.
»Warum muss er sie denn umbringen, Poppa? Kann er sich nicht einfach eine neue Freundin suchen?«
»So einfach ist das nicht, Keesy. Es geht um die Ehre. Aber ich finde nicht, dass ein Mann seine Freundin fürs Fremdgehen bestrafen soll. Frauen sind leichtsinnig; sie verlieben sich schnell, sie können nichts dagegen tun, dass sie Geschöpfe der Leidenschaft sind. Sie sind nicht so vernünftig wie Männer. Auf eine untreue Freundin böse zu sein, das ist genauso, als würde man den Wolken vorwerfen, dass sie regnen. Ich habe eine Freundin, Keesy, von der deine Mutter nichts weiß.« Er hielt inne. Kurz fühlte ich mich geschmeichelt, weil er mir vertraute, es Mommy nicht zu erzählen. Oft taten wir beide hinter Mommys Rücken etwas Verbotenes. Wenn ich mit ihm unterwegs war, ließ er mich beispielsweise vorne sitzen, ohne mich anzuschnallen; wenn Mommy dabei war, musste ich immer angeschnallt hinten sitzen. Und jedes Mal, wenn er mich mitnahm zur Inspektion des Wagens, kaufte er mir vier große Donuts mit Schokoladenguss und sagte: »Sag deiner Mutter nichts davon!« Gleichzeitig war ich aber auch traurig, weil ich wusste, dass seine Freundin etwas damit zu tun hatte, dass er Mommy nie in den Arm nahm oder küsste und nie »Ich liebe dich« zu ihr sagte.
Er fuhr fort: »Ich gehe davon aus, dass meine Freundin noch zehn andere Männer hat, aber was soll ich dagegen tun? Ich kann mir nicht um alles Gedanken machen. Töchter, Schwestern, Mütter, die sind heilig, weil sie vom eigenen Blut sind, und wenn ein Mann ihnen etwas antut, dann schadet er einem persönlich. Durch langjährige Erfahrung und durch die Erfahrungen meiner Freunde habe ich gemerkt, dass Männer deine Schwester, Mutter, Tochter benutzen, um dir zu schaden, um die Ehre eines anderen Mannes zu zerstören, denn das verleiht ihnen ein Gefühl von Macht. Ich weiß, dass die Familie, zu der deine Mutter immer mit dir geht, zwei Söhne hat: Nimm dich in Acht vor den Jungen, spiel mit ihnen in Gegenwart von anderen, aber geh nicht allein mit ihnen weg. Das ist nur ein praktischer Ratschlag von jemandem, der sich auskennt.« Ich traute mich nicht, Poppa zu sagen, dass ich die Jungen nur selten zu Gesicht bekam, sondern meistens mit Peter zusammen war, mit oder ohne meine Mutter.
Als wir uns der Wohnung näherten, wies Poppa auf ein Graffiti an einer Hauswand und rief: »Guck, das ist wieder von diesem Macho, der sich Bones nennt, dieser Vandale, den sie einfach nicht erwischen, der unsere Stadt verschandelt! Aber ab heute, Keesy, sind wir unseren alten Freund Bones los, nie wieder werden wir seinen Namen lesen müssen!«
***
In unserem neuen Haus könnten wir nur kurz duschen, sagte Poppa, nicht so ausgiebig wie in der alten Wohnung, wo wir das Wasser nicht selbst bezahlen mussten. Unsere neuen Möbel waren in Plastikfolie verpackt, die Poppa aus Angst, die Einrichtung zu beschädigen, nicht auspacken wollte. Das Plastik war unangenehm, weswegen sich niemand draufsetzte, nicht einmal Poppa selbst. Wie ich den Möbelpackern mit ihren Schnurrbärten ansehen konnte, war die Couch unglaublich schwer. Sie hatte Löwenfüße aus Eiche und war so lang, dass Poppa ausgestreckt draufliegen konnte. Der neue Fernseher, den Poppa gekauft hatte, war riesig und besaß Verzierungen aus Mahagoniholz, doch Poppa saß nur selten im Wohnzimmer und schaute fern; er zog es vor, in seinem
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