Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
Vom Netzwerk:
»Junge, Junge, du steigerst dich so in deine Rolle hinein, du gehst ganz darin auf. Das macht mir ein bisschen Angst.«
    Unten im Keller stieg ich manchmal nackt auf die Suzuki: Ich umfasste die großen Griffe und tat so, als würde ich fahren. Einmal schob Peter den Motorradschlüssel in die Zündung und ließ den Motor an; ich spürte, wie ein brausendes, brennendes Gefühl vom Motor aufstieg und sich ausbreitete, sich durch den gesprungenen Ledersitz fortpflanzte und mich durchdrang wie die Stränge eines Spinnennetzes in der Ecke eines Holzbalkens. Ich umklammerte die Griffe, hielt es kaum aus, meine Augen tränten; ich sagte etwas Seltsames, ich würde mich wie Little Mama fühlen, die ihre Kätzchen bekommt; dann explodierte dieses schmelzende, sengende, wahnsinnige Gefühl in mir wie ein Sack mit Millionen schimmernden perlgroßen Eiern, wie Pollen, die durch die Luft wirbeln, wie die weißen Federn platzender Samenkapseln. Benommen stieg ich vom Motorrad, fiel fast hin und fragte mich, was gerade mit mir geschehen war.
    ***
    Zum Frühling hin wurde ich frecher denn je zuvor, bekam noch mehr Wutanfälle und kommandierte Peter so oft herum, dass er mich nur noch »Sergeant Ma’am« nannte. Meine Mutter sagte immer wieder, Peter würde mir in letzter Zeit zu viel durchgehen lassen, wenn er nicht aufpasste, würde er mich total verziehen. Jetzt fing ich sogar an, nur so aus Spaß ungehorsam zu sein, ließ etwa einfach Peters Hand los, wenn wir zum Spielplatz gingen, oder lief allein über die Straße. Außerdem begann ich, Peter zu belügen, beispielsweise machte ich etwas kaputt und verbarg den zerstörten Gegenstand, oder ich versteckte seine Zigaretten und sein Feuerzeug und behauptete, sie nicht gesehen zu haben.
    »Ich mag keine Lügen«, sagte Peter. »Wir beide haben jetzt eine wirklich starke Beziehung zueinander. Jede Lüge von dir, ob groß oder klein, ist ein Riss in unserer Freundschaft. Man sieht ihn kaum, so winzig ist er, aber diese Unehrlichkeit, die wird immer schlimmer. Komm, wir schließen jetzt einen Pakt, dass wir uns niemals anlügen und jedes Versprechen halten wollen.«
    Wir schlossen den Pakt, und aus irgendeinem Grund nahm ich ihn sehr ernst und hörte auf zu lügen. Frech blieb ich dennoch, was Peter allerdings nicht so aufregte wie die Unaufrichtigkeit; er ertrug sogar regelrechte Gemeinheiten von mir – meine grausamen Streiche etwa, wenn ich seinen Kaffee in den Abfluss schüttete, sobald er zur Toilette ging, oder wenn ich mich über seine falschen Zähne und seine hässlichen eingewachsenen Zehennägel lustig machte.
    ***
    Mommy sagte Peter, dass es sicherlich viele Gründe für mein »aufbrausendes« Verhalten gebe, die alle irgendwie mit Poppa zu tun hätten. Seit kurzem ohne Arbeit, fing er schon frühmorgens zu trinken an und hörte bis zum Abend nicht mehr damit auf. Er hatte sich angewöhnt, nachts in meinem Zimmer zu schlafen, während ich im Elternschlafzimmer bei meiner Mutter übernachtete. Wenn ich in mein Zimmer ging, um mir etwas zum Anziehen zu holen, schrie Poppa mich an, ich solle die Tür hinter mir zumachen, er bekäme Kopfschmerzen vom Licht. Wenn er einen schlimmen Kater hatte, drängte er mich so sehr zur Eile, dass ich mit den falschen Sachen herauskam, zum Beispiel mit zwei Pullovern statt einer Hose und einem Pulli. Glaubte man Mommy, dann verschwendete Poppa sein Arbeitslosengeld für Alkohol und Glücksspiele, er aber sagte, wenn er das nicht mehr dürfte, würde er so verzweifelt werden, dass er sich morgens nicht mal mehr anziehen könnte.
    ***
    Ich weiß nicht, ob ich an dem Tag aufbrausendes Verhalten zeigte, als mein achter Geburtstag gefeiert wurde und ich das Meerschweinchen laufen ließ. Peter hatte zu mir gesagt, ich solle nach oben gehen und Blackhead füttern und ihm frisches Wasser in die Flasche füllen. Außerdem solle ich ein wenig mit ihm spielen, weil er in letzter Zeit ein bisschen einsam ausgesehen hätte. Ich war ganz aufgeregt, diese Verantwortung übertragen zu bekommen. Peter hatte mich noch nie allein auf den Dachboden gelassen. Vielleicht hatte er mehr Vertrauen zu mir, seit wir uns gegenseitig versprochen hatten, uns nicht anzulügen.
    Ich rannte die Treppe zum Dachboden empor und fiel fast über Rickys Skateboard. Es klapperte die Stufen hinunter, blaue Stufen, die kreisförmig nach unten führten. Die Wände des Dachbodens waren dunkelblau. Das fiel mir erst jetzt auf, da ich das erste Mal ohne Peter dort war. Und ich

Weitere Kostenlose Bücher