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Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger

Titel: Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaux Fragoso
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es schöner, dort ist mehr Platz«, flüsterte ich ihm in sein rosa Öhrchen, dennoch pochte das kleine Herz wie wild in meiner Hand.
    Ich schaute auf den Glaskasten, in dem eine gelbe Plastikschüssel mit braunen Pellets stand und eine Wasserflasche mit einem langen Metalltrinkrohr hing. Die Holzspäne, auf denen das Meerschwein schlief, rochen süßlich-düster.
    Ich setzte Blackhead auf den Boden. »Los, Blackhead! Lauf! Lauf!«, rief ich und klatschte in die Hände. Doch er wollte nicht laufen; er drehte sich im Kreis und beschnupperte den Boden. Ich wusste, dass ich ihn wieder in seinen Kasten setzen sollte, ging aber stattdessen zur Treppe.
    Unten angekommen, sprangen alle aus ihrem Versteck und riefen: »Überraschung!« Auf dem Küchentisch stand ein Kuchen mit Kerzen. Peter zündete eine an und entflammte alle anderen damit. Ich schaute in die kerzenbeschienenen Gesichter um mich herum. Flammen waren in den Augen von Ricky, Miguel und Inès, in den Augen meiner Mutter.
    »Wünsch dir was!«, sagte Peter, und ich musste überlegen, was ich mir wünschen wollte.
    Ich pustete kräftig, und die Flammen wurden zu schwarzen Dochten. Bis auf zwei waren alle erloschen, die letzten blies Peter sanft für mich aus.
    »Was hast du dir gewünscht?«, flüsterte er und beugte sich vor, damit ich es ihm ins Ohr sagen konnte.
    Eigentlich hätte ich es nicht verraten, weil der Wunsch dann keine Macht mehr hatte, doch in diesem Moment hatte ich das leichtsinnige Gefühl, mit allem davonzukommen. »Einen Tigerschwanz«, sagte ich.
    ***
    »Das schönste Alter für ein Mädchen ist acht Jahre«, sagte Peter, nachdem ich meine Geschenke ausgepackt hatte. »Auch wenn es mich traurig macht, zu sehen, wie du größer wirst.«
    Mich machte es auch ein bisschen traurig. Als ich vier oder fünf war, sagten immer alle, dass ich größer werden würde, doch ich glaubte ihnen nicht. Ich wollte nicht wahrhaben, dass meine kindlichen Fähigkeiten ein Ende haben würden: mich unter einem Tisch verstecken, meinen Körper unter Stühle und in schmale Winkel quetschen zu können. Wie sehr ich diese animalische Freiheit schätzte! Die Freude, gelenkige Arme und Beine zu haben, durch ein Loch im Zaun oder die Lücke zwischen einem riesigen Baumstamm und einer Backsteinmauer schlüpfen zu können – das war mein ganzer Stolz. So wie eine Maus in einem Spalt in der Wand lebt oder eine braune Einsiedlerspinne ihr Netz an einem Holzbalken an der Decke spinnt und von dort alles überwacht, wie eine Ameise einen ganzen Staat von Verbindungstunneln unter der Erde zur Verfügung hat, so wie es der ganze Stolz von Blackhead war …
    Blackhead! Ich begann zu weinen und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Was ist los, Liebes?« Peter kniete sich auf das gerissene Linoleum in der Küche und nahm meine Hände in seine.
    »Ich hab das Meerschweinchen freigelassen.«
    Peter hatte keinen Gürtel in seiner roten Jogginghose, mit dem er mich hätte schlagen können, so wie Poppa es getan hätte. Er hatte keinen Zorn in den Augen, nur eine Sorge, die sich wie ein Virus von einem aquamarinblauen Auge zum anderen ausbreitete und sein Gesicht auf eine Weise erstarren ließ, wie ich es noch nie gesehen hatte. Und dennoch war seine erste Reaktion, mich mit einem »Keine Sorge, den finden wir schon« zu trösten. Dann sprang er mit einer männlichen Kraft auf die Füße, die seinen ganzen Körper unter Strom setzte, von den graublonden Härchen auf seinen Armen bis zu seinem silbrig-sandfarbenen Pony und seinen langen entschlossenen Füßen in den leichten weißen Turnschuhen. Er hastete nach unten, um Ricky und Miguel zu holen, und als er mit ihnen zurückkehrte, folgten wir drei ihm nach oben, ließen uns auf die Knie nieder und begannen zu suchen. Wir suchten unter dem unteren Bett, räumten die Klamotten zur Seite, durchwühlten den Wandschrank; wir inspizierten die Ecken und schauten unter den Decken nach. Als wir überall gesucht hatten, hoben Peter und Miguel das Etagenbett an, und ja, da hockte das arme Ding in der schmutzigsten, trockensten, traurigsten Ecke. Sein glänzendes schwarz-braun-weißes Fell war voller Staub und Spinnweben, die Peter vorsichtig entfernte.
    »Das kleine Kerlchen ist bald wieder munter«, sagte Peter. »Ich bin froh, dass wir ihn rechtzeitig gefunden haben.«
    »Wenn wir ihn nicht gefunden hätten«, meldete sich Ricky mit einer dünnen hohen Stimme, die seine jungenhafte Aufregung verriet, »wären seine Zähne immer weiter gewachsen.

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