Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
aus Überzeugung nicht. Mein Vater war ein schrecklicher Alkoholiker.«
»Wollen Sie damit sagen, Sie trinken gar nichts, nicht mal ein Bier? Das kann ich kaum glauben!«
»Nicht alle Menschen trinken Alkohol. Louie, das weißt du«, sagte Mommy. »So schwer ist das gar nicht zu begreifen. Bei manchen Menschen verändert es die Persönlichkeit. Mein Vater war immer ganz anders, wenn er getrunken hatte.«
Peter nickte. »Mein Vater war ständig betrunken. Jeden zweiten Abend verprügelte er meinen Bruder und mich, ohne jeden Grund. Schlug uns mit einer neunschwänzigen Katze. Später schickte er uns auf ein Jungeninternat, wo wir von den Nonnen geprügelt wurden. Wenn wir davonliefen, wurden wir zu unserem Vater nach Hause geschickt, der uns für das Ausreißen bestrafte; anschließend brachte er uns zurück ins Internat, wo die Mönche und Nonnen die Ausbrecher bestraften, indem sie sie entweder grün und blau prügelten oder sich noch schlimmere Maßnahmen für sie ausdachten. Einem Jungen wurde der Kopf kahlrasiert, weil er zehn Mal weggelaufen war. Was mein Bruder und ich auch versuchten, wir hatten keine Chance.«
Poppa blickte in seinen Sakebecher. Als er die Kellnerin sah, bestellte er schnell die Rechnung. Meine Mutter und Peter unterhielten sich weiter.
***
Auf dem Heimweg führten Peter und Poppa im Chevy ihr Gespräch weiter. Diesmal ging es um Kunst, doch ich merkte, dass Poppa nicht mehr bei der Sache war, und machte mir Sorgen. Bei Peter angekommen, stieg Poppa aus, gab Peter die Hand und sagte, das müssten wir bald wiederholen. Doch kaum war er ins Auto gestiegen, sagte er: »Dieser Mann ist komisch. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet habe, ich weiß nur, dass ich nie wieder in Gesellschaft so eines Menschen sein will. Welcher Mann lehnt einen Becher guten Wein bei einem schönen Essen ab, zu dem er eingeladen wurde? Was hat er für Manieren? Er hat mich ausgenutzt. Dieser Mann hat mich ausgenutzt, damit ich sein Essen bezahle.«
»Louie, du hast darauf bestanden, ihn einzuladen.«
»Nicht mal als die Rechnung kam, hat er angeboten, Geld dazuzugeben.«
»Weil du lange vorher gesagt hast, dass du ihn einladen würdest.«
»Aber als die Rechnung kam, hätte er zumindest anbieten müssen, seinen Teil selbst zu zahlen. Oder uns einzuladen. Zumindest das Trinkgeld zu übernehmen!«
»Das kann er sich nicht leisten, Louie! So einfach ist es. Die Leute sind arm, Louie. Das kannst du wahrscheinlich nicht verstehen.«
»Ich weiß das! Das ist kein Geheimnis!«, sagte Poppa. »Ich habe kein Problem damit, zu bezahlen! Aber es gibt gewisse Dinge, die man erwartet, wenn man essen geht. Natürlich habe ich bezahlt. Ich bin ja kein Geizhals.«
»Du bist bloß sauer, weil er nicht mit dir trinken wollte.«
»Ich traue keinem Mann, der nicht ein einziges Glas verträgt! Okay, er will nicht betrunken sein, gut! Ich will auch nicht, dass er mir in den Wagen kotzt! Alles klar, aber ein einziges Glas!«
»Vielleicht hat er Angst, die Kontrolle zu verlieren«, sagte Mommy. »Alkohol verändert den Menschen. Ich habe allen Respekt davor, dass er nicht trinkt.«
»Oh, du hast Respekt vor ihm! Vor dem Heiligen!«, höhnte Poppa. Er suchte eine Parklücke, war aber nicht ganz bei der Sache. Zum dritten Mal fuhr er jetzt schon um unseren Block und war zweimal an einem freien Platz vorbeigekommen, ohne ihn zu entdecken. Ich registrierte, dass der Platz mittlerweile besetzt war. »Man muss ihm einen Pokal verleihen!«
»Du bist betrunken, Louie! Du dürftest gar nicht mehr ans Steuer! Du hast beinahe den parkenden Wagen da gestreift!«
»Diese Straßen sind einfach zu schmal! Willst du vielleicht ans Steuer? Dann fahre ich jetzt an die Seite. Ich schließe das Auto ab.«
»Du weißt genau, dass ich nicht Auto fahren kann! Pass bitte einfach auf! Ich will nicht, dass Margaux was passiert, nur weil du nicht aufpasst!«
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass der Mann seltsam ist? Dann hätte ich längst dafür gesorgt, dass ihr nicht mehr dahin geht. Na, es ist ja nicht zu spät. Ich möchte, dass ihr Abstand gewinnt zu diesem Mann und seiner Familie.«
Mit klopfendem Herzen richtete ich mich auf dem Rücksitz auf. Ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen. Ebenso groß war meine Angst, nichts zu sagen.
Mommy warf Poppa einen ungläubigen Blick zu. »Du würdest deine Tochter tatsächlich bestrafen, weil du beleidigt wurdest? Weil du dich beleidigt fühlst ? Du würdest Margaux wehtun, um dich an ihm zu
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