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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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es von links.
    »Nase und Lippe«, sagte Jonas, der keine Lust hatte, ihre richtigen Namen zu verraten.
    Gelächter.
    Egal. In Jonas stieg Trotz auf; sollten sie doch gackern, das musste man wegstecken, wie die Hitze, wie Nierenhaken in einem
     langen Kampf. Auf einmal sagte das Mädchen, das bisher fast nur gekichert hatte, mit einer weichen und dunklen Stimme: »Soll
     ich dir tragen helfen, ist bestimmt schwer, dein Kuchen?!«
    Jonas sah sie an. Ihr Blick war ernst und freundlich. »Geht schon«, sagte er verdattert. »Danke.«
    »Bitte, bitte«, kam es von links. »Wir helfen gerne Nasen, die in Schwierigkeiten stecken. Steckst du doch?«
    Jonas schwieg und ging geradeaus. ›Fäuste hoch, |77| pass auf deine Deckung auf!‹, dachte er. ›Pass auf, pass auf!‹
    »Ich bin Bschu,« sagte die Dünne nach einer Weile, »Und ich Büm«, die Dicke.
    »Wo wohnt ihr denn?«, fragte Jonas, der schon die ganze Zeit einen Verdacht hatte.
    »Puntilastraße, beste Straße im ganzen Dschungel«, sagte Bschu.
    Jonas hatte es geahnt: ein Großmaul aus der Puntilastraße. Nur komisch, dass die Nette auch dort wohnte.
    »Ich nicht«, sagte jetzt Büm. »Ich bin Mattiweg.«
    Widerwillig musste Jonas lachen; er wollte nicht, wollte es hinunterschlucken, aber es ging nicht. Er gluckste und prustete.
     Bschu sah ihn aus ihren zusammengekniffenen Augen von der Seite an. Büm kicherte. Und dann lachten alle drei.
     
    Als Jonas Lippe endlich eingeholt hatte, waren die beiden Mädchen verschwunden. Plötzlich waren sie weg gewesen, schnell wie
     der Wind, der um die Ecken pfeift.
    Die beiden Jungen gingen schweigend in der brütenden Hitze des Nachmittags. Die schwache Brise brachte keine Kühlung, sondern
     blies ihnen den fauligen Geruch des Klärwerks hinterher.

[ Menü ]
    |78| Vipern können weinen
    Jonas roch es, als er die Wohnungstür öffnete. Grünkohl mit Kohlwürsten und Kartoffeln. Am liebsten wäre er wieder umgekehrt.
     Aber das ging nicht, er war nämlich gerade noch rechtzeitig. Rechtzeitig hieß Punkt acht. Da versammelte sich die Familie
     jeden Abend am Küchentisch und das Essen wurde aufgetragen, während im Fernseher die Nachrichten liefen. Dabei durfte kein
     Wort gesprochen werden.
    Jonas schob sich so unauffällig wie möglich auf seinen Platz und sah kurz auf. Seine Mutter saß neben ihm und verteilte das
     Essen. Seit dem Unfall des Vaters musste auch sie arbeiten gehen. Dreimal in der Woche saß sie acht Stunden hinter der Kasse
     eines Drogeriemarktes. Sie war erschöpfter als früher. Aber nicht deswegen war seine Mutter jetzt öfter missmutig und schweigsam.
     Vera war schuld, da war sich Jonas sicher. Er schielte zu dem grobschlächtigen Mädchen, das für ihn immer noch eine Fremde
     war, hinüber. Vera kam ihm noch bleicher vor als sonst. Das war aber schwer zu erkennen, weil ihr die Haare wie ein zerfetzter
     schwarzer Schleier vors Gesicht hingen.
    Jonas wusste wirklich nicht, was sie hier wollte. Er hatte nicht den Eindruck, dass sie ihren, also seinen Vater besonders
     mochte. Im Gegenteil, Jonas hatte schon öfter beobachtet, wie sie ihn wütend ansah. |79| Ohne Grund; er saß nur da und starrte vor sich hin. So wie jetzt, müde und grau. Vielleicht, dachte Jonas, sollte er seinem
     Vater auch einmal ein Stück Torte mitbringen. Ob ihn das aufheitern würde? Tante Tiger hatte die Torte am meisten gefreut.
     Sie hatte ihren Kopf dicht über der Sahnetorte pendeln lassen und geschnuppert; dazu war ein dunkles Gurren aus ihrer Kehle
     gestiegen, dann hatte sie gekrächzt: »Das macht mich ganz verrückt. Ich kauf diese Torte schon seit Jahren, immer aus demselben
     Tiefkühlfach, aber so hat das noch nie gerochen. Alles duftet, die Sahne, die Schokolade, der Honig, die Kirschen und erst
     der Schnaps – wooooaaaar. Ich werde als Erstes ein Stück Kuchen essen.«
    Bei dieser Erinnerung musste Jonas schmunzeln. Sofort zogen sich die Augenbrauen der Mutter zusammen. Sie dachte, dass er
     über die an ein Hausdach geklammerten Menschen lachte, die gerade auf graugrünen Wellen über den Bildschirm schaukelten. Irgendwo
     auf der Welt hatte es Hochwasser gegeben.
    »Die haben da keine guten Leute«, brummte der Vater jetzt. »Da muss man natürlich mit allem Gerät ran, Tauchausrüstung, Boote,
     Amphibienfahrzeuge, alles.« Er war der Einzige, der das Nachrichtenschweigen brechen durfte.
    Jonas riskierte einen weiteren Blick zu Vera. Sie schlang den Grünkohl hinunter und schaute in Richtung Fernseher,

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