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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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gefragt
     hab, hab ich von meiner Mutter eine gefangen. Glaubst du, das war eine gute Zeit? Dein Vater hat das nicht gewusst, sagt er
     jetzt. Weil er es nicht wissen wollte. Weil er |146| überhaupt nichts von uns wissen wollte! Und du kneifst genauso vor der Wahrheit, kleiner Scheißer.«
    »Wir kneifen nicht! Blöde Dreckskuh!«
    Jonas kochte vor Wut. Darüber, dass Vera ihm nachspionierte, dass sie seinen Vater einen Feigling nannte, dass sie vielleicht
     sogar recht hatte – woher sollte er wissen, was damals passiert war? Es war ihm auch egal.
    Vera lachte, bückte sich und zog zwei kurze Eisenstangen aus einem der Bündel, die neben ihr am Boden lagen. Sie gingen ihr
     knapp bis zur Schulter. »Dann wehr dich, du tapferes Scheißerlein. Hier, deine Waffe.« Sie warf ihm eine der Eisenstangen
     zu; trotz Veras Kraft fiel sie ein gutes Stück vor Jonas auf den Boden.
    In Jonas’ Kopf jagten sich die Gedanken. Es wäre besser, jetzt einfach abzuhauen. Er war schneller und wendiger, aber in einem
     Kampf hatte er keine Chance: Vera war schwerer, stärker und hatte längere Arme. Außerdem war sie nicht so wütend wie er. Und
     alle großen Boxer sagen, dass die eigene Wut der schlimmste Feind ist. Sie gibt zwar Kraft, lähmt aber den Verstand, und dann
     rennst du blindlings ins Verderben …
    Jonas sprang vor und packte die Eisenstange mit beiden Händen. Sie lag schlecht in der Hand, war zu lang und dünn, die geriffelte
     Oberfläche grub sich schmerzhaft in die Haut.
    Vera kam langsam näher. Sie hielt die Stange mit einer Hand, ihre grünen Lippen waren zu einem leichten Grinsen auseinandergezogen.
     Plötzlich warf sie |147| sich nach vorn und stieß nach Jonas’ Brust. Jonas konnte sich gerade noch zur Seite drehen. Aus der Drehung schlug er nach
     Veras Oberarm. Vera fing den Schlag ab. Die Eisen krachten aufeinander und Jonas hatte Mühe, seine Stange festzuhalten. Veras
     Grinsen war verschwunden, sie schlug jetzt kreuzweise von links und rechts auf Jonas ein. Mit einem hohen Pfeifen fuhr ihre
     Stange durch die Luft. Jonas wich weiter und weiter zurück, nur manchmal zuckte die Spitze seiner Stange zwischen Veras Schläge.
    Sie trieb ihn vor sich her, bis er vor dem Bretterverschlag stand. In seinem Rücken spürte Jonas schon die schwere Plastikplane.
     Kurz überlegte er, ob er seine Waffe einfach fallen lassen und sich hinter die Plane zu Tante Tiger in die dunkle Röhre flüchten
     sollte, da schlug Vera mit voller Wucht zu. Jonas konnte gerade noch die Stange heben. Funken stoben und ein scharfer Schmerz
     durchzuckte seine Handgelenke. Die Stange wurde ihm aus den Händen gerissen und flog klirrend gegen einen Haufen Metallgitter.
    Keuchend und mit schweißnassem Gesicht stand Vera vor ihm.
    »Sag’s jetzt: Was macht ihr mit dem Fleisch? Und wo habt ihr das Geld her?«
    Jonas konnte sie nur anstarren; sein Kopf war leer.
    »Glotz nicht so blöd, sonst tut es weh, verstehst du: AUA!«
    Jonas spürte, wie etwas Kaltes, Spitzes auf seine Brust gesetzt wurde. Die Berührung brachte ihn wieder |148| zu sich. »Es ist … also, es ist … für ein Tier«, stammelte er. »Da gleich hinter mir geht es in die Kanalisation, und da bringen
     wir das Fleisch hin.«
    »Was für ein Tier?« Vera verstärkte den Druck der Eisenstange.
    »Ein … ein …« Jonas schluckte. »… ein paar fette Kanalratten.«
    Veras Augen weiteten sich kurz vor Ekel, dann zischte sie: »Das glaub ich dir nicht. Für jede Lüge …«
    Auf einmal erfüllte ein dumpfes, bedrohliches Knurren die Luft. Es kam direkt aus dem Bretterverschlag hinter Jonas, fast
     meinte er zu spüren, wie die Plastikplane in seinem Rücken vibrierte. Dieses Geräusch kannte er und obwohl es ihm immer noch
     durch Mark und Bein ging, war Jonas unendlich froh, es zu hören.
    Veras Kinn war nach unten gefallen, panisch zuckten ihre Augen hin und her. Das Knurren ging jetzt ansatzlos in ein Brüllen
     über. So wild und aggressiv, dass Jonas sich am liebsten auf den Boden geworfen und die Ohren zugehalten hätte.
    Dann war es wieder still. Vera starrte entsetzt auf die grüne Plastikplane hinter Jonas. »Was ist da?«, hauchte sie. Ihre
     grünen Lippen zitterten. Alles Brutale, Gefährliche an ihr war verschwunden, sie war nur noch ein großes ängstliches Mädchen.
    »Eine Kanalratte«, sagte Jonas und ein Grinsen verzerrte sein Gesicht. »Und sie hat Hunger.«
    Vera sah ihn noch einen Augenblick an, ließ dann die Eisenstange fallen, drehte sich um

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