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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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und hastete los. Ihre Beine verhedderten
     sich dabei immer wieder im |149| Saum ihres schwarzen Mantels. Stolpernd verschwand sie zwischen den dunklen Türmen aus Gittermatten.
     
    Jonas hob die Plastikplane zur Seite und lief in das grüne Dämmerlicht. Fast wäre er gegen Tante Tigers Schnauze gerannt,
     so benommen war er von dem Kampf.
    Tante Tiger saß auf den Hinterpfoten in dem kleinen Bretterverschlag. Nach Katzenart sah sie Jonas unverwandt und regungslos
     an. Jonas sank vor ihr auf den Boden und keuchte. »Danke.« Mehr brachte er nicht heraus.
    »Wer war das wütende Weibsbild?«, fragte Tante Tiger.
    »Meine Halbschwester.«
    Noch immer waren Jonas’ Hände gefühllos von Veras letztem Hieb. Er zitterte am ganzen Körper. Tante Tiger ließ sich jetzt
     auch auf die Vorderpfoten nieder und legte ihre riesigen Tatzen links und rechts neben Jonas, der seinen Kopf in das weiße
     Brustfell des Tigers presste. Wie ein Nest legten sich die weichen Haare und der Geruch nach kräftiger Suppe um ihn. Er spürte,
     wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Der Tiger schnurrte und allmählich beruhigte sich Jonas.
    »Sie war fast schon friedlich in der letzten Zeit«, sagte er. »Und auf einmal schleicht sie mir nach und schlägt mich fast
     tot. Die spinnt doch …«
    Er wischte sich die Augen mit einem Zipfel des rosa Schals, der noch immer um den Tigerhals geschlungen war.
    |150| »Nein«, brummte Tante Tiger, »sie ist verliebt.«
    »Was?«, rief Jonas. »Verliebt? Mit diesen scheußlichen grünen Lippen kriegt die doch nie einen.«
    »Ach, Bub, es gibt immer welche, die so was mögen.«
    »Trotzdem. Niemand hält es mit Vera aus. Sie ist brutal.«
    »Von wegen«, grummelte der Tiger über Jonas. »Wie ein Täubchen hat sie gegurrt. Deswegen hab ich mich eben auch so lange zurückgehalten.
     Weil ich nicht glauben wollte, dass dieses verliebte Ding so toben kann. Aber sie war es, ich hab sie an der Stimme erkannt.«
    »Sie kennen Vera?« Jonas war vollkommen verdattert.
    »Neulich hat sie mit ihrem Verehrer im Mondschein auf dem Baumstamm gesessen«, sagte Tante Tiger. »Ich hab es euch doch erzählt.«
    Jonas erinnerte sich. Nur das Schnurren des Tigers hatte das Mädchen schon erschreckt. Und jetzt hatte Vera das Knurren und
     Brüllen zu hören bekommen. Die Angst hatte sie kurzzeitig gelähmt, fast so wie ein K.-o. -Schlag. Geschah ihr recht, fand Jonas, merkte sie mal, wie das war: Angst haben.
    »Wer ist eigentlich ihr Freund? Kennen Sie den auch?«
    »Woher denn? Ich bin doch keine Klatschtante. Deine Schwester habe ich an der Stimme und am Geruch erkannt. Und mit dem jungen
     Mann ist es das Gleiche. Ich weiß nicht, wer er ist, aber ich würde ihn |151| sofort wiedererkennen. Er rollte das R ganz wunderbar und roch sehrrr verrrrführerrrrisch, rrroooaaaah, nach Schweineblut.«
    In Jonas stieg ein Verdacht auf. »Hat er ein rundes, rosiges Gesicht und ganz kleine Augen?«
    »Nun ja«, zierte sich Tante Tiger, »ich war ja ein Stück entfernt und es war Nacht … Aber ich glaube, du hast recht: es war
     ein richtiges Vollmondgesicht.«
    »Igor, der Schweinskopf!« Jonas fing an zu lachen, so laut, dass Tante Tiger etwas von ihm abrückte und ihn verwundert ansah.
     Jonas wusste selbst, dass es blöd war, zu lachen, aber er konnte nicht anders. Die Vorstellung, dass Igor und Vera im Mondschein
     auf einem Baumstamm saßen, Händchen hielten und sich sogar küssten, war furchtbar komisch.
    Nachdem er sich wieder gefangen hatte, erklärte Jonas Tante Tiger, wer Igor war. Jetzt war auch klar, woher Vera von dem Fleisch
     wusste und warum sie in letzter Zeit besserer Laune gewesen war. Der Schweinskopf war der Grund! Alles war klar, nur eins
     nicht: »Wieso hat sie so eine Wut auf mich?«
    Tante Tiger lag jetzt auf der Erde. Das Licht, das durch die Bretterritzen fiel, zeichnete neben den dunklen auch noch helle
     Streifen auf ihren mächtigen Leib.
    »Habt ihr Streit?«, fragte Tante Tiger mit leiser Stimme.
    »Nein«, sagte Jonas. »Wir können uns nur nicht ausstehen. Am liebsten würde ich sie rausschmeißen.«
    »Vielleicht hat sie genau davor Angst, dass deine Familie sie nicht haben will. So wütend ist man nur, |152| wenn man sich fürchtet. Vielleicht hat sie auch Angst, dass eure Geschäfte Igor in Schwierigkeiten bringen.«
    Wie schrecklich, verliebt, aggressiv und obendrein noch ein Mädchen zu sein, dachte Jonas, aber wahrscheinlich hing das alles
     irgendwie zusammen.
    »Ich war auch oft

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