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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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von der Bahnhalte rüber zum Spielplatz. Wie zwei kaputte Pilger lassen wir uns in den Sandkasten fallen und graben die Füße tief in den kalten Sand. Der Sand bleibt an unseren nackten Armen und Beinen kleben, wie auf den Postern früher von der Bravo Girl. Ich schließe meine Augen, aber Jameelah sagt, nicht einschlafen, das ist verboten, und da schüttle ich den Kopf und greife nach ihrer Hand, und so liegen wir einfach nebeneinander und lassen das Leben vorbeitreiben, weil wir noch so viel Zeit haben, weil die Uhr erst auf ungefähr 14 nach Geburt steht, das heißt noch fast 50 Minuten Leben, und das ist sehr lang.
    Plötzlich steht Jameelah auf.
    Hörst du das, fragt sie.
    Was?
    Da weint jemand.
    Ich lausche angestrengt, kann aber nichts hören.
    Doch, das kommt von der Rutsche, oben aus dem Häuschen.
    Wir gehen quer durch den Sandkasten, an unseren Bäumen vorbei bis zur Rutsche. Jetzt höre ich es auch, da wimmert jemand leise vor sich hin.
    Hallo, sagt Jameelah, ist da jemand?
    Langsam schieben sich zwei hennabemalte Hände über die Holzwand vom Rutschehäuschen, dahinter taucht ein verweintes Gesicht auf. Mit angezogenen Beinen sitzt Jasna oben im Holzhäuschen, um sie herum runtergerauchte Kippen, blaue Wimperntusche läuft ihr in langen Striemen über die Wangen.
    Gehts dir gut, fragt Jameelah.
    Blöde Frage, denke ich.
    Habt ihr Zigaretten, fragt Jasna.
    Klar, sagt Jameelah und kramt ihren Tabak aus der Hosentasche.
    Ich kann das nicht, sagt Jasna, sie lächelt verlegen und zeigt auf den Tabak, so was drehen.
    Kein Problem, sagt Jameelah, ich mach schon.
    Mein Verlobter hat immer echte Zigaretten. Ich rauche nur echte Zigaretten, deswegen kann ich das nicht.
    Wo ist er denn, frage ich.
    Er kommt gleich, wir sind hier verabredet. Ich will nur, dass Tarik mich nicht findet. Ich habe gewartet, bis er auf Toilette musste, dann bin ich schnell weg.
    Dieser Arsch, sagt Jameelah, heute im Schwimmbad.
    Ich schwöre, sagt Jasna, wenn er mich nicht bald in Ruhe lässt, dann gibt es richtig Ärger, aber ich will das eigentlich gar nicht. Tarik ist mein Bruder, egal was ist. Ohne seine Familie ist man nichts auf der Welt.
    Ohne seine Familie ist man nichts auf der Welt, bescheuerter Satz, denke ich, und ob das überhaupt stimmt. Alle sagen das immer, aber nur, weil alle das immer sagen, heißt es noch lange nicht, dass das auch so ist. Mit ihren langen Fingern greift Jasna nach der brennenden Kippe, die Jameelah ihr hinhält, sie fängt in tiefen Zügen an zu rauchen, ein bisschen so wie Dragan. Ob sie sich das von ihm abgeschaut hat, frage ich mich, und woran das liegt, dass man sich immer so ähnlich wird, wenn man so sehr aufeinanderhängt.
    In Wirklichkeit ist Tarik doch nur eifersüchtig, sagt Jameelah, weil du jetzt verlobt bist.
    Seid ihr echt richtig verlobt, frage ich.
    Ja, sagt Jasna.
    Zeig mal deinen Ring.
    Jasna steckt sich die Kippe in den Mundwinkel, zieht ihren rechten Ärmel hoch und streckt uns die hennabemalte Hand hin. Ich starre wie blöde auf den Ring, wie auf jemanden, den man schon ewig nicht mehr gesehen hat. Er ist schmal, er ist aus Gold, und in der Mitte sitzen drei Steine, zwei kleine weiße und dazwischen ein großer grüner Stein.
    Ist der echt, fragt Jameelah.
    Jasna nickt.
    Wo hast du den her, frage ich.
    Woher wohl, den hat mir Dragan geschenkt.
    Ich meine, wo hat Dragan den her?
    Er ist von seiner Mutter, die hat ihn von ihrer Mutter, ein Familienerbstück.
    Deine Mutter Familienerbstück, sage ich und packe ihre Hand.
    Was soll das, sagt Jasna und zieht die Hand weg.
    Das ist nicht sein Ring, sage ich, den hat er geklaut.
    Geklaut, was redest du? Pass auf, was du sagst.
    Der Ring hat nie jemandem aus Dragans Familie gehört, den hat er geklaut.
    Jameelah schaut mich fragend an, da klingelt Jasnas Handy.
    Ich komme, sagt sie, schmatzt in den Hörer und legt auf.
    Du kannst jetzt nicht gehen, sage ich.
    Jasna lacht.
    Warum?
    Wegen dem Ring, der gehört dir nicht!
    Was redest du bloß für eine Scheiße, sagt Jasna und steht auf, sie schnippt die Kippe in den Sand, springt von der Rutsche und läuft in Richtung U-Bahn.
    Was war das denn jetzt, sagt Jameelah.
    Lass mich, ich muss nachdenken.
    Nachdenken? Worüber?
    Meine Mutter. Ihr Verlobungsring. Der war das, der Ring an Jasnas Finger.
    Ich denke, den hat dein Vater mitgenommen.
    Mann, hat er eben nicht, weil dann hätte Dragan ihn ja nicht Jasna anstecken können. Der hat den geklaut, ganz einfach.
    Jameelah schaut mich ungläubig

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