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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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sterben will, da weinst du.
    Ihre Mutter verkriecht sich in Tariks Armen, sie legt die Hände auf seine breiten Schultern und formt sie zu kleinen Fäusten, ich sehe, in der einen Faust hält sie ein weißes zusammengeknülltes Taschentuch. Immer diese Taschentücher, denke ich, wie kleine Stofftiere, nur für Mütter, nur für Sorgen, traurig geknetete Tierchen aus Tränen, jedes mit seiner eigenen Geschichte.
    Ein Mann in einer gelben Weste schiebt mich zur Seite. Auf seinem Rücken steht Polizeipsychologe und darunter eine Nummer.
    Sie müssen nicht sterben, sagt der Mann, es gibt für alles eine Lösung.
    Jasna lacht.
    Was wissen Sie schon von meinem Leben, Doktor Psycho?
    Plötzlich tritt Tarik nach vorn.
    Dann spring doch, schreit er, spring doch, du kleine Tschetnikschlampe.
    Du hast mir nichts zu sagen, schreit Jasna zurück, du bist nicht mein Vater.
    Dein Vater, pah, sagt Tarik und spuckt auf den Boden.
    Der Regen wird immer stärker. Die Feuerwehrmänner tuscheln miteinander und machen einen Kreis, einer von ihnen spannt einen riesigen Regenschirm auf, Sauwetter steht da drauf.
    Jetzt ist mal gut, sagt der in der gelben Weste zu Tarik, wie reden Sie denn mit Ihrer Schwester, das muss doch nicht sein, in so einer Situation.
    Das da, das ist nicht meine Schwester, sagt Tarik und schaut den in der Weste geradeaus an.
    Ich bringe euch alle um, ich bringe euch alle um, schreit Jasna, dann rennt sie zurück in die Wohnung.
    Einer der Feuerwehrmänner breitet seine Arme aus, er sagt, wechseln Sie sofort die Straßenseite, bitte wechseln Sie sofort die Straßenseite, und verhalten Sie sich ruhig.
    Jetzt sprengt sie das Haus in die Luft, wetten, jetzt sprengt sie das Haus in die Luft, jammert Jameelah.
    Noura kommt uns auf der Straße entgegen, ich höre das gleichmäßige Hämmern ihrer Absätze auf dem Asphalt, ich sehe den weißen Kittel, der unter ihrem Mantel hervorschaut.
    Was ist hier los, fragt sie und schüttelt Jameelah an den Schultern, was macht ihr hier draußen bei dem Regen?
    Jameelah murmelt was, aber ich kann nur noch auf das Haus starren, aus dem dumpfe Schreie dringen. Es hat sich in eine verschlossene Spieluhr verwandelt. Die Ballerina da drin hat sich aus der Spieluhrkiste befreit und dreht komplett durch. Ich kann Jasna irgendwie schon verstehen, muss schlimm sein, ein Leben lang in einer dunklen Kiste festgekettet zu sein und sich jedes Mal, wenn einer die Kiste aufmacht, zu irgendeiner bescheuerten Melodie im Kreis zu drehen. Es regnet und regnet. Der Schlafanzug unter meiner Kapuzenjacke ist bis auf die Haut durchnässt, dafür lässt der brennende Schmerz auf meinen Schultern langsam nach, und als Jasna zurück auf den Balkon kommt und wieder aufs Geländer klettert, bekomme ich eine irre Gänsehaut.
    O nein, sagt Jameelah, jetzt tut sie es wirklich.

Heute ist letzter Schultag, und wie immer hole ich Jameelah und Amir ab. Amir versucht im Hausflur mal wieder zwei von diesen Journalisten abzuwimmeln, die stehen seit der Geschichte mit Jasna von morgens bis abends hier rum.
    Deine Schwester ist vorgestern aus dem Krankenhaus entlassen worden, stimmt das, fragt einer von denen. In den Händen hält er ein Notizbuch, kann wohl gar nicht abwarten, irgendwas da reinzuschreiben.
    Amir nickt gequält. Er hat mal wieder eine geklebt bekommen. Genau unter seinem Auge ist ein großer, runder lila Fleck, da hat seine Mutter mit ihrem dicken Goldring hingestempelt.
    Der Freund deiner Schwester hat uns gesagt, dass sie an einen geheimen Ort gebracht worden ist, um sie vor deiner Familie zu schützen, stimmt das, fragt der Journalist.
    Ich weiß nicht, sagt Amir.
    Hat sie sich vielleicht bei dir gemeldet?
    Nein, hat sie nicht.
    Du bist doch ihr kleiner Bruder, vor dir muss sie ja keine Angst haben.
    Amir schaut sich hilfesuchend nach mir um.
    Sie hat sich doch nur ein Bein gebrochen, sage ich und stelle mich neben ihn.
    Also ehrlich, nur ein Bein gebrochen, sagt die Journalistin, die hinter dem Typen mit dem Notizbuch steht, das war ein Hilferuf, da muss man nachhaken, und als ich nicht weiß, was ich darauf sagen soll, sagt sie, gerade junge Mädchen müssen doch, aber ich erfahre nicht mehr, was gerade junge Mädchen müssen, denn zum Glück kommt Jameelah die Treppe runtergepoltert.
    Ihr nervt, sagt sie zu den beiden Journalisten, kapiert ihr das nicht.
    Ich bin von der Bild, sagt der Typ.
    Geh Sarrazin interviewen, sagt Jameelah und zieht Amir mit sich zur Haustür.
    Amirs Auge sieht nicht gut aus,

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