Tigermilch
und weil noch Zeit ist, kaufen wir beim Späti eine Müllermilch und gehen auf den Spielplatz. Wir setzen uns in das Holzhäuschen über der Rutsche und rauchen eine. Amir hält sich den kalten Becher gegen die Backe.
In Deutschland ist es strafbar, ein Kind zu schlagen, wusstet ihr das, sagt Jameelah.
Ich bin kein Kind mehr, sagt Amir.
Doch, vor dem Gesetz bist du ein Kind, und wenn man in Deutschland ein Kind schlägt, dann kann man dafür bestraft werden.
Auch für Backpfeifen, frage ich.
Ich weiß nicht, jedenfalls ist das die richtige Antwort.
Richtige Antwort auf was, fragt Amir.
Bei diesem Deutschtest, das war eine von den Fragen.
Test, sage ich, schreiben wir heute einen Test?
Bitte nicht, sagt Amir.
Nein, sagt Jameelah, ich meine diesen Deutschtest für die Einbürgerung. Dafür musst du alles über Deutschland wissen, was der Bundespräsident ist und an welchem Feiertag man Masken trägt und lauter solche Sachen.
Ich verstehe nur Bahnhof.
Wofür brauchst du den denn, sagt Amir.
Für irgendwann mal, falls wir mal Deutsche werden. Dann kann ich die Fragen schon, ist doch gut.
Schwachsinn, sagt Amir.
Jameelah schaut ihn wütend an.
Wieso Schwachsinn?
Nichts, sagt Amir, was willst du mir damit sagen? Soll ich meine eigene Mutter anzeigen oder was?
Mann, ist mir gerade nur so eingefallen, sagt Jameelah, reg dich ab.
Eine Weile sagt keiner was.
So hab ich das nicht gemeint, sagt Jameelah irgendwann, weißt du doch, oder?
Ist schon gut, sagt Amir.
Kommt, sage ich, wir müssen los.
Als die Struck mit den Zeugnissen unterm Arm in die Klasse kommt, sieht sie so aus wie immer am letzten Schultag. Sie hat sich ihre schmalen Lippen pink bemalt und Rouge aufs Gesicht gemacht. Zur Feier des Tages hat sie sich außerdem ein Kleid angezogen, ein weißes Sommerkleid aus Leinen, typisch Lehrerin. Das Kleid ist an den Seiten so labbrig, dass man ihr C&A-Unterhemd sehen kann, und weil sie keinen BH trägt, hängen ihre Brüste darin herum wie kleine verschrumpelte Wasserbomben. Die Füße stecken in Sandalen und sind lackiert, aber die Struck kann so viel sie will an ihren Füßen rumlackieren, alt bleiben sie trotzdem, voller Rillen und schorfiger Haut. Und das kriegen wir am letzten Schultag vor die Nase gesetzt, danke schön.
Die Struck lächelt immer am letzten Schultag, weil sie sich mehr auf die Ferien freut als wir alle zusammen, und dann denkt sie auch noch, wir würden das nicht merken. Sie zieht sich ein Scheißkleid an, sie lackiert sich ihre verhornten Zehen und tut freundlich, aber vorn auf dem Lehrerpult neben den Zeugnissen liegen schon ihre Ferienbücher bereit, einmal Sprachenlernkrimi Englisch – Das Verschwinden der Evelyn Howard und ein Südafrika-Reiseführer.
Na, was macht ihr diesen Sommer, fragt die Struck, während sie die Zeugnisse austeilt.
Die Struck ficken, ruft einer von hinten, so leise, dass man nicht weiß, wer es war, aber laut genug, dass es die ganze Klasse hören kann.
Alle brüllen los vor Lachen. Die Struck kriegt überall rote Flecken an ihrem Ausschnitt und richtig Tränen in den Augen. Plötzlich tut sie mir ein bisschen leid, aber als sie mir mein Zeugnis hinknallt und ich sehe, dass sie mir in Mathe und Bio eine Fünf gegeben hat, ist mein Mitleid schon wieder weg. Soll sie doch da, wo sie hinfährt, einfach spurlos verschwinden, wie Evelyn Howard, entführt werden, das wärs mal, die Struck entführt von irgendwelchen Taliban, und keiner will das Lösegeld zahlen.
Nach der Schule schließen wir uns erst mal im Mädchenklo ein. Wir kippen die Müllermilch von heute Morgen ins Klo, wir lassen Mariacron, Maracujasaft und die letzte Schulmilch vor den Ferien hineingluckern, trinken abwechselnd und drehen uns eine.
Hab ich dir schon erzählt, ich krieg am Ende der Ferien die Weisheitszähne raus, sage ich.
Echt, sagt Jameelah und schaut mich neidisch an, in der Kinderklinik? Ist ja Wolke.
Total.
Aber was machen wir den Rest der Ferien?
Bestimmt nicht die Struck ficken.
Jameelah lacht.
Nee, sagt sie, wir lassen uns deflorieren, was meinst du?
Ich verstehe mal wieder nur Bahnhof.
Entjungfern, wir lassen uns entjungfern, Mann. Wir suchen uns die süßesten Typen der Welt und gehen mit denen ins Bett. Schluss mit Üben.
Stimmt ja, sage ich, hatte ich schon wieder vergessen, jetzt wo Jameelah mich dran erinnert, finde ich es auch gut und an der Zeit, aber deswegen muss sie doch nicht immer so kompliziert reden.
Weißt du schon mit wem, fragt
Weitere Kostenlose Bücher