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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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Blümchenkleiderbügel, mit dem wir früher Kaufladen gespielt haben. Noura hat Orangeschalenhälften mit einer Kordel an die Enden gebunden, schaut mal, hat sie gesagt, und Nüsse in die beiden Orangeschalenhälften gelegt, wie bei einer Waage. Wieso der hier immer noch hängt, frage ich mich, und wie es möglich ist, dass wir uns als Kinder stundenlang damit beschäftigen konnten.
    Jameelah zieht die Nase hoch.
    Hast du ein Taschentuch?
    Ich schüttle den Kopf. Aus der unteren Wohnung kann man den Fernseher hören, jemand schaltet die ganze Zeit von einem Kanal zum nächsten.
    Hörst du das, sage ich.
    Nee, sagt Jameelah, dabei weiß ich genau, dass sie es hört, weil sie sich sonst immer darüber beschwert, dass Tarik den Fernseher so laut laufen lässt. Tarik vorm Fernseher, die Fernbedienung in der Hand, das schlimme Bein ausgestreckt, die Augen halb geschlossen, so sitzt er jetzt da unten, nur ein paar Meter unter uns, nur die dünne Wand, die uns von ihm trennt.
    Ich stehe auf, ich sage, ich muss hier weg, ich muss irgendwas machen, sonst dreh ich durch.
    Ich auch, sagt Jameelah, lass uns irgendwas machen.
    Was?
    Keine Ahnung, was Schönes.
    Was Krosses.
    Ja, was schön Krosses.
    Komm, sage ich, lass uns zur Kurfürsten fahren.

Bei der Stanitzek kaufen wir eine Müllermilch, dann gehen wir bei mir vorbei, schnappen uns die Nettotüte und laufen weiter zur Bahnhalte.
    Die schmeißen wir besser weg, sagt Jameelah, holt Mariacron, Milch, Maracujasaft und den Schmuck aus der Nettotüte und stopft die Tüte in den Papierkorb.
    Lass den doch gleich wegschmeißen, sage ich und zeige auf den Schmuck.
    Du Doof, den müssen wir weiter weg wegschmeißen, sagt Jameelah, stellt die Flaschen auf die Bank und stopft den Schmuck in ihren Rucksack. An den Flaschen kleben noch Rosenblätter.
    Los, in drei Minuten kommt die Bahn, sage ich.
    Wir kippen die Müllermilch auf die Bahngleise, mixen Tigermilch und schütten uns das Zeugs runter. Als die Bahn einfährt, sehe ich durch die Fensterscheiben, dass wir total fertig aussehen. Jameelah hat immer noch verheulte Augen, und ich sehe ungefähr so aus wie Amir, als er damals bei mir geklingelt und mir den Karton gegeben hat. Damals, das war erst gestern, kann doch gar nicht sein, denke ich, aber egal, das mit dem fertigen Aussehen ist genau richtig, ist nämlich genau das, worauf die Typen an der Kurfürsten abfahren.
    Hier, sagt Jameelah und hält mir den leeren Becher hin.
    Ich mixe noch mal neu, wir trinken. Die Bahn ruckelt langsam über die schweren Gleise und schleppt uns von Bahnhalte zu Bahnhalte, sie schleppt uns bis auf die andere Seite der Stadt, immer weiter weg, weg vom Spielplatz, weg von Tarik und Noura, weg von den Fotos in der Vitrine. Ich wünschte, Jameelah würde anfangen, irgendwas zu erzählen, irgendeinen Blödsinn, der ihr gerade einfällt, so wie sie es immer macht, was Lustiges, wo ich lachen muss, was Irres, wo ich den Kopf schütteln und sagen muss, du spinnst, oder was Breites, wo ich sagen muss, du bist ja total dicht. Stell dir vor, soll sie sagen, stell es dir einfach nur mal vor, wir auf dem Spielplatz, in Flipflops und Spaghettitops, und dann kommt Tarik und bringt Jasna um, genau vor unseren Augen, einfach so.
    Hör auf, würde ich sagen, das ist gruselig.
    Mein Gott, würde Jameelah sagen, ist doch alles nur ne Story, du Baby, so wie das mit den Tigermilchbrüsten oder das mit dem Tier, das Lukas für mich gefangen hat, das ist ja auch nur ein Traum, und trotzdem fühlt es sich an wie Wahrheit, aber Jameelah sagt nicht, alles nur ne Story, sie sagt scheiße, diese verdammten Rosenblätter, die machen mich fertig, und sie fummelt an ihrem Ellbogen rum, da kleben Rosenblätter, und sie fummelt an ihrem Rock rum, da kleben Rosenblätter, sie zupft sie alle weg, sogar die, die auf dem Boden liegen, hebt sie auf, dann öffnet sie das Fenster und lässt sie raus. Sie fliegen so schnell weg, dass man ihnen noch nicht einmal hinterhersehen kann.
    Jemand hat mit seinen fettigen Haaren an der Fensterscheibe einen Abdruck hinterlassen. Nichts ist ekliger als Fetthaarflecken im Bus oder in der Bahn. Es ist eine andere Form des Hinscheißens, finde ich, nur das Schlechte eines Menschen bleibt zurück. Der Fetthaarfleck sieht so eklig aus, dass ich nicht wegschauen kann, rund und speckig, die feinen Haare, die sich in der Mitte wirbeln, die Stellen, wo die Stirn sich drangeschmatzt hat, drumrum Kinn, Wange, Müdigkeit. Wenn man stirbt, dann muss man

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