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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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unbedingt etwas Gutes auf der Welt hinterlassen, das wird mir jetzt mit dem Fetthaarabdruck erst wirklich klar. Man muss was Gutes hinterlassen, und es muss was sein, das man nicht anfassen kann, was Klares, was Unsichtbares, damit nicht nur Fett und Blut und Scheiße zurückbleiben. Ich bin so müde, mir fallen die Augen immer wieder zu, aber ich passe genau auf, dass mein Kopf nicht gegen die Fensterscheibe fällt. Ich werde hier keinen Fetthaarfleck hinterlassen.
    Meinst du, es hat trotzdem funktioniert, fragt Jameelah mich plötzlich.
    Was?
    Der Zauber. Meinst du, dass der trotzdem wirkt, obwohl, na ja, du weißt schon.
    Du bist gut, denke ich, aber ich sage, denke schon, das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.
    Was Lukas wohl gerade macht, sagt Jameelah und schaut mich aus ihren großen Augen an.
    Wahrscheinlich baden. Macht man doch sicher so am Gardasee, oder.
    Ja, sagt Jameelah, wahrscheinlich baden.
    Ich habe beim Zahnarzt mal ein Foto gesehen vom Gardasee, da war alles grün, und mittendrin der blaue See, richtig wie im Urlaub.
    Ja, da schwimmt Lukas jetzt drin, sagt Jameelah.
    Ja, sage ich und nehme ihr die Tigermilch aus der Hand, der hats gut.
    Ich glaube, ich bin schon ganz schön hacke, aber nie hat sich das besser angefühlt als heute. Manchmal ist Alkohol wie Medizin, vor allem wenn sie so gut schmeckt wie Tigermilch, so süß, so fruchtig, so gesund, ich glaube, deswegen ist auch in fast jeder Medizin Alkohol drin, das macht Sinn, so klar, so unsichtbar, alles kann man damit wegwischen, das Fett, das Blut, die Scheiße, mit Alkohol kann man die ganze verfaulte Welt aufwischen. Danach bleibt nur eine saubere, reine Fläche zurück.
     
     
    Voll vergessen, dass heute Sonntag ist. Sonntags ist auf der Kurfürsten nichts los, da fahren die Typen lieber mit ihren Familien ins Grüne oder ins Autokino oder weiß ich was, jedenfalls kommen sie sonntags nicht hierher. Noch nicht mal die eine mit dem Hund und dem Hariborock ist da. Der Himmel ist voll grau. Wir holen die Ringelstrümpfe aus den Rucksäcken, setzen uns auf unseren Stromkasten, ziehen die Strümpfe über und lassen die Beine baumeln.
    Kommt eh keiner, sage ich, und wenn, dann nur die, die es voll nötig haben.
    Nee, sagt Jameelah, wenn, dann kommen die Netten, die, die sich mit ihrer Frau gestritten haben. Die fahren dann einmal um den Block, und danach vertragen sie sich zu Hause wieder.
    Oder die alten einsamen Säcke, für die ist doch eh jeder Tag gleich.
    Oder jemand, den wir kennen, sagt Jameelah und kichert, stell dir mal vor, der Wittner oder so.
    Das würde der nie machen, sage ich.
    Du bist vielleicht naiv.
    Dem Kotz-Krüger, dem würde ich so was zutrauen, stell dir mal vor, der würde hier plötzlich auftauchen, sage ich.
    Jameelah lacht laut, springt vom Stromkasten runter und verstellt ihre Stimme.
    Unheimlich gastfreundlich, diese Irakis, aber, sagt sie und hebt den Zeigefinger, sie verletzen die Menschenrechte.
    Ich lache mich halb tot.
    Jameelah springt zurück zu mir auf den Stromkasten, wir lassen weiter die Beine baumeln und schauen auf die leere Straße.
    Was hat der eigentlich damit gemeint, frage ich.
    Wer, womit?
    Der Kotz-Krüger. Mit den Menschenrechten im Irak?
    Na ja, da ist irgendwie immer noch Krieg, sagt Jameelah, also inoffiziell. Jetzt nicht mehr so sehr wie früher, aber trotzdem ist das Leben da einfach schlimm, so wie ein kleiner Krieg, die ganze Zeit. Das meint der Kotz-Krüger. Stimmt ja auch, aber was geht ihn das an, der soll sich um seinen eigenen Scheiß kümmern.
    Und deswegen seid ihr hierhergekommen.
    Genau, sagt Jameelah.
    Aber dein Vater und Youssef, sage ich vorsichtig, die sind dort gestorben.
    Jameelah nickt.
    Auch wegen irgendwas mit den Menschenrechten?
    Die sind gestorben, weil mein Vater sich eingemischt hat. Aber auch wegen der Menschenrechte, weil bei vielen Leuten im Irak gilt Auge um Auge, sagt Jameelah und trinkt noch einen Schluck, immer müssen sich alle einmischen, überall. Das macht aber alles noch schlimmer.
    Habt ihr eben deswegen so geweint, frage ich leise.
    Jameelah sagt nichts, holt den Tobak aus dem Rocksack, die Filter, die Blättchen, ihr Zippo, ich schaue auf ihre Hände, die schwarz lackierten Fingernägel, ihre Zunge, die das Papier anleckt.
    Wenn was Schlimmes passiert, kriegt meine Mutter Angst um uns, das kommt von früher, sagt Jameelah und klickt mit dem Zippo.
    Was hat dein Vater denn Schlimmes gemacht?
    Sag mal, willst du das nicht kapieren oder bist

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