Tijuana Blues
Mexico vorgestellt hatte, spürte er eine beklemmende Atmosphäre diskreter Überwachung. Gute Manieren, ausgesuchte Höflichkeit, dachte er, aber nur nach außen. Unter der Oberfläche, ganz gleich ob FBI oder DEA, findet man Brutalität und Gewalt, eine Machtmaschinerie, die die Jagdhunde verheizt, die zu ihrer Befriedigung ausgebildet werden. Halt, sitz, lauf, hinterher, fass, töte!
Die Sekretärin, die seine Personalien aufgenommen und ihn gebeten hatte, einen Moment zu warten, kehrte lächelnd zurück und bat ihn in den Meeting-Raum.
»Unser Direktor ist nicht da, aber einer seiner Mitarbeiter wird sich in ein paar Minuten um Sie kümmern.«
Als die Sekretärin zum Telefon eilte, hatte Morgado Zeit, sich das Zimmer genau anzusehen. An einer Wand hing, wie ein Heiligenbild, ein großformatiges Foto von Enrique Camarena, dem Agenten der DEA, den die Presse zum Märtyrer im Kreuzzug gegen den Drogenhandel gemacht hatte. Weiter hinten befand sich eine Vitrine mit Auszeichnungen und Trophäen von Schießwettbewerben und Kampfsportwettkämpfen, die Mitglieder der Einsatzgruppe von El Centro gewonnen hatten.
Während er die Aufschriften der Trophäen durchlas, tauchte ein junger Amerikaner auf, der trotz der Som merhitze einen formellen Anzug inklusive der vorgeschriebenen Krawatte trug.
»Guten Tag, Mister Morgado«, sagte er und drückte ihm kräftig die Hand.
»Guten Tag, Agent Dávalos.«
»Womit können wir Ihnen dienen?«
»Sie erinnern sich wohl nicht mehr an mich.«
»Darf ich erfahren, wo wir uns kennen gelernt haben?«
»In Nicaragua 1987.«
»Ich war nie in Nicaragua. You’re wrong. Es muss eine Verwechslung sein.«
»Vielleicht. Ich war auch nie in Nicaragua. Sage ich mal so, falls Sie das beruhigt.«
Dávalos öffnete die Arme und lachte ungezwungen. »Dann ist ja alles in Ordnung. Wir vergessen, was war, und fangen ganz von vorne an.«
»Einverstanden.«
»Aber Sie sind bestimmt nicht in dieses Grenzkaff gekommen, um über nicht existente Dinge zu sprechen, oder? Was kann ich für Sie tun? Ich weiß – wir haben das gerade überprüft –, dass Sie gute Empfehlungen haben. Soweit das in unserer Macht steht, helfen wir Ihnen gerne.«
»Ich bin gekommen, um Sie nach Forschungsprojekten über den Andreasgraben in La Salada, Baja California, zu fragen. Vielleicht vor einem Monat.«
Dávalos zog das Jackett aus und hängte es über eine Stuhllehne. Dann lockerte er den Knoten seiner Krawatte.
»Ich interessiere mich für Geologie«, fügte Morgado hinzu, »aber mehr noch für Anthropologie. Knochen und solche Sachen. Ich wollte Sie nach Ihrer Meinung fragen.«
Dávalos ging auf Morgado zu und fasste ihn am Arm. »Es ist heute ziemlich heiß hier. Erlauben Sie, dass ich Sie auf einen Schluck einlade. Hier gegenüber auf der anderen Straßenseite gibt es eine nette Bar.«
Sie verließen gemeinsam das Gebäude der DEA. In der Bar setzten sie sich an einen der hinteren Tische. Während man ihnen die beiden Biere hinstellte, klopfte Dávalos Morgado auf die Schulter. Die reglose Maske verschwand von seinem Gesicht. Als wäre er plötzlich ein anderer. »Du hast uns ja ganz schön mitgespielt in Nicaragua, motherfucker. «
»Ich habe dich davor bewahrt, einen Massenmord zu begehen.«
»Und du hast mir das Leben gerettet. Dafür bin ich dir dankbar.«
»Schwachsinn, Harry. Wenn man dir befehlen würde, mich zu töten, würdest du nicht eine Sekunde darüber nachdenken.«
»Für was hältst du uns? Für Roboter?«
»Du hast es selbst gesagt: Vergiss die Vergangenheit. Sprechen wir von der Gegenwart, Harry. Erzähl mir was über La Salada.«
»In welcher Sache steckst du drin, Morgado? Beantworte mir diese Frage, und ich sage dir, was ich dir sagen darf. Wenn du glaubst, deine Empfehlungsbriefe von Amnesty International hätten hier irgendeine Bedeutung, bist du auf dem Holzweg.«
Morgado starrte blöde auf den Grund seines Bierglases. Wenn er die Wahrheit sagte, kompromittierte er womöglich Heribertos Familie. Sagte er sie nicht, wäre das so, als würde er ohne Köder angeln. In jedem Fall war allein die Tatsache, dass er die DEA um Informationen bat, ein Risiko. So wie die Gringos immer alles ausposaunten, würde jetzt ganz Mexicali über seine Schritte Bescheid wissen.
Morgado atmete ganz langsam aus, trank einen Schluck Bier und berichtete von seinen Ermittlungen. Er erwähnte dabei lediglich Heribertos Ermordung und die Widersprüchlichkeiten in der lokalen Presse.
»Nette
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