Tijuana Blues
die Gewinner.«
»Ja, Harry. Die Herren einer jeden Epoche sind die, die sie am besten zu ihrem eigenen Nutzen zu manipulieren verstehen.«
»Ist auch eine Kunst. Gelingt nicht jedem.«
»Wir zum Beispiel wären gerne wie ihr und hassen uns deswegen. Wir sind die Kinder einer gevierteilten Göttin, einer dunklen Jungfrau, von Idolen hinter den Altären. Heute seid ihr, euer American way of life, der Altar, den wir anbeten. Aber unsere Idole sind immer noch dort, verborgen im Dunkeln und warten, bis ihre Stunde gekommen ist.«
»Du bist immer noch ein Idealist, Morgado. Man muss schon ein unverbesserlicher Romantiker sein, um so etwas zu sagen.«
Morgado fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich verabschiede mich, Harry. Ich gehe schlafen. Bei diesem russischen Roulette habe ich zu viele Leben verspielt.«
»Du hast durch reinen Bluff gewonnen. In Wahrheit haben die anderen die Arbeit gemacht. Sie haben dir den Weg freigeräumt. Du warst nur die Nadel, die ein paar lose Fäden verkettet hat.«
»Kein Widerspruch.«
»Und hat es etwas genutzt? Werden in deinem Land die Menschenrechte jetzt besser respektiert?«
»Nein. Und in deinem?«
»Was macht das? Das ist nicht mein Job.«
»Das ist kein Job, Harry. Es ist eine Notwendigkeit.«
»Über wie viele Leichen bist du hier gegangen? Hast du sie gezählt? Erinnerst du dich an ihre Namen, ihre Gesichter? Kaum. Du bist genau wie wir. Dich interessiert nur das Ergebnis, der Erfolg deines Unternehmens. Jetzt kannst du als Held in die Hauptstadt zurückkehren. Wie viel Applaus wirst du bekommen? Wie viel Anerkennung wird man dir zuteil werden lassen wegen deiner über jeden Zweifel erhabenen Rechtschaffenheit, wegen deiner Klugheit als Spürhund des Guten? Sag es mir! Ich will es aus deinem Mund hören.«
Morgado schwieg, und Harry nutzte das aus, um seinen Angriff fortzusetzen. »Was für eine Heldentat. Sei froh, dass du noch lebst. Du solltest dankbar sein, dass die DEA Druck ausgeübt hat, dass es hier nicht noch größere Wellen in den Wassern gegeben hat, die du aufgewühlt hast.«
»Dankbar sein? Was willst du damit sagen?«
Jetzt hatte er Harry kalt erwischt. »Wie, was ich damit sagen will? Dass jetzt alles vorbei ist. Du hast den Mörder gefunden und ihn ins Jenseits befördert. Happy End. Applaus und Orden. Alle sind glücklich und zufrieden. Das will ich sagen.«
»Da steckt noch etwas anderes dahinter, nicht wahr?«
Dávalos hob verzweifelt die Hände in die Höhe. »Es ist sinnlos, mit dir zu sprechen. Der Stolz macht dich blind.«
»Ja, Harry. Ich bin ein Blinder, der sieht. Ein Verrückter, der vernünftig denkt.«
»Du hast den Weg sauber gemacht, und jetzt ist alles wieder wie am Anfang«, sagte Harry in ernstem Ton. »Du hast gute Arbeit geleistet, search and destroy nennen wir das, und es war großartig. Mein Chef schickt dir Glückwünsche.«
»Sag deinem Chef, ich habe das nicht für ihn getan. Er soll da nichts durcheinander bringen. Ich habe es für meine Landsleute getan und nur für die.«
Harry nickte und musste grinsen. Morgados Entgleisungen amüsierten ihn mehr, als dass sie ihn wütend machten. Das Bild von seinen Vorgesetzten, wenn sie Nachricht bekamen, dass die ganze Sache schon an die Presse durchgesickert war, ließ ihn eine gewisse Solidarität mit seinem sturen Freund empfinden. »Wenn mein Chef das erfährt, befällt ihn Montezumas Rache.«
»Das hoffe ich.«
Und beide lachten einmütig.
Am Ende landeten sie in einer Bar und erzählten sich alte Geschichten aus den Zeiten in Mittelamerika, wie zwei Kriegsveteranen, die auf verschiedenen Seiten gekämpft hatten. Die halb leeren Gläser klirrten in der Luft.
»Wann werdet ihr uns in Frieden lassen?«, fragte Morgado.
»Wer wen?«
»Ihr, die Gringos, uns, die Mexikaner.«
»Nie. Wir sind Nachbarn. Oder hast du das schon vergessen?«
»Wir werden euch auch nicht in Frieden lassen.«
» We know. «
»Und jetzt?«
»Es ist wie eine unglückliche Ehe. Scheidung ausgeschlossen. From here to eternity. «
»Wie nervig.«
Der Kneipenwirt dimmte das Licht herunter. Morgado und Harry, die unter den allerletzten Gästen waren, verabschiedeten sich voneinander ohne offene Rechnungen und ohne Zorn. Zwei alte Waffenkameraden, die es vorzogen, sich eine Weile nicht über den Weg zu laufen. Zwei vorübergehend versöhnte Feinde.
22
Der Polizeichef sah sich im Büro von Doña Matilde im Treinta-Treinta um. Fotografen, Spurensicherung und eine Spezialeinheit
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