Tijuana Blues
spazierten zwischen den Leichen herum und bemühten sich, das Geschehene zu rekonstruieren.
»Comandante, ein Gespräch für Sie«, sagte einer seiner Mitarbeiter und reichte ihm das Handy.
»Ja. Ja. Wer? Wann? Ah, gut. Ja. Ja. Ist gut. Schon verstanden. Ich kümmere mich darum. Ja. Kein Problem.«
Er gab seinem Mitarbeiter das Telefon. »Schön, das hätten wir.«
Ein anderer Mitarbeiter zeigte ihm zwei Kugeln. »Das waren die, die Myriam getötet haben. Wir haben sie in der Wand hinter dem Schreibtisch gefunden.«
»Und …?«
»Sie passen zu keiner der hier gefundenen Waffen. Das heißt, irgendjemand muss der Schießerei entkommen sein. Nachdem er Myriam erledigt hat, klar.«
Der Polizeichef nahm die Kugeln und steckte sie in die Tasche seiner Lederjacke. »Von was für Kugeln sprichst du? Ich sehe keine.«
Der Ermittler war irritiert. »Was … was … geht hier vor?«
Sein Chef baute sich vor ihm auf. »Der Fall ist abgeschlossen. Auf Befehl von oben. Das geht hier vor«, sagte der Comandante. Er befahl, die Autopsien abzusagen und auf der Dienststelle in einer Stunde Bericht zu erstatten. »Alle raus hier. Die vom Beerdigungsinstitut sollen die Leichen einsammeln. Wer den Mund aufmacht oder etwas an die Presse weitergibt, den mache ich persönlich kalt. Habt ihr verstanden?«
Mit gesenkten Köpfen eilten alle hinaus.
»Die sind knallhart, die Kerle da oben an den Schalthebeln, nicht wahr?«, flüsterte ihm einer seiner Mitarbeiter zu.
Der Polizeichef schaute noch einmal zu Doña Matildes Büro und den Angestellten des Bestattungsunternehmens hinüber, die die Toten auf Bahren legten. »Sie sind gnadenlos«, erwiderte er.
Morgado wachte am Morgen auf. Alicia schlief nicht neben ihm. Auf dem Telefontischchen lag eine Nachricht: »Ich muss in Ensenada noch was zu Ende bringen. In einer Woche werde ich in Mexico City sein. Wait for me. « Unterzeichnet: Alicia Beltrán.
Teresita Sifuentes, verwitwete González, breitete vor ihren Töchtern die Zeitung aus. »Da habt ihrs. Hier. Auf der ersten Seite.«
Die Töchter, Eloísa eingeschlossen, lasen die Schlagzeile des Diario 29: »Der Mord an Heriberto González: Streit im Zocker- und nicht im Drogenmilieu.« Und dann lasen sie den restlichen Artikel, in dem die Einzelheiten des Falles bekannt gegeben wurden.
»Die schreiben ja gar nichts über mich!«, rief Eloísa aus.
»Über dich schreiben. Was willst du? Dass alle wissen, dass du für jeden die Beine breit machst?«, erwiderte die Witwe und riss ihr die Zeitung aus der Hand. »Und jetzt lasst mich in Ruhe, ich werde Rechtsanwalt Morgado und Atanasio empfangen.«
»Wenn der Rechtsanwalt kommt, will ich ihm Hallo sagen.«
Die Witwe sah zornig ihre älteste Tochter an. »Was habe ich dir gerade gesagt, Mädchen? Geh auf dein Zimmer, mit deinen Schwestern; und kommt nicht heraus, solange ihr nicht gerufen werdet.«
Die Mädchen eilten davon, die Witwe betrachtete das Foto ihres Mannes von vor etwa zehn Jahren, das wie ein religiöses Bild an der Wand des Wohnzimmers hing. »Sie sind viel schlimmer als du und ich«, klagte sie laut.
Dann lächelte sie still in sich hinein, stolz auf ihre jungen Nachkommen.
In Langley, Virginia, ging bei der CIA der Zugangscode HDG_LAMEX-33688 ein. Sekunden später wurde er akzeptiert und die gewünschte Information über eine sichere Leitung an den Anfragenden übermittelt.
Harry Dávalos sah, wie auf seinem Computer zu Hause die Datei von Miguel Ángel Morgado López auftauchte: »Geboren in Mexicali B.C. Mexiko, am 24. März 1956. Abgeschlossenes Jurastudium an der Universidad Nacional de México. M.A. der Universität Bern, Schweiz, Schwerpunkt Menschenrechte. Kontakt zu subversiven linken Gruppen. Rechtsanwalt für ›politische Gefangene‹ der mexikanischen Regierung seit den Achtzigerjahren. Präsident der Internationalen Kommission für die Aufklärung des Mordes an dem Journalisten Manuel Buendía (1985). Rechtsberater der Sandinistischen Front (1987-1988). Aktives Mitglied von Amnesty International seit 1987. Direktor des Institutes zur Erforschung der Menschenrechte in Lateinamerika seit 1990. Ehrenberater des mexikanischen Kongresses seit 1993. Gehört keiner Partei oder Kirche an. Politische Gesinnung (Annahme): Sozialdemokrat.«
Harry tippte ein paar Worte ein und kontrollierte auf dem Bildschirm, was er Morgados Datei hinzugefügt hatte: »Nicht kooperative Einmischung in den Fall Zamudio-DEA, Daten verfügbar im Archiv ZAM-1881. Psychisch
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