Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
traditionellen Filmmusical – eine Menge Dialoge, und dann fängt urplötzlich jemand an zu singen. Unsere Filmfassung ist deutlich stärker von der Musik dominiert. Es sind nicht ganz so viele Songs wie im Musical, aber wesentlich mehr als im ersten Drehbuchentwurf vorgesehen.
Zu den Songs, die es nicht in den Film schafften, gehört auch das berühmte Anfangsstück des Musicals »The Ballad of Sweeney Todd«, das kurz vor Beginn der Dreharbeiten gestrichen wurde, obwohl das musikalische Thema noch im Film zu hören ist.
Auf der Bühne ist das ein Chorstück, in dem die Figur Sweeney Todd beschrieben wird. Als wir uns damit genauer befassten, stellten wir allerdings fest, dass die Figur, die dort umrissen wird, nicht ganz unserer Filmfigur entspricht. Außerdem will man als Zuschauer auch nicht die Handlung des Films vorweg erzählt bekommen. Die Figuren sollten ein bisschen geheimnisvoll bleiben.
Auf der Bühne werden Sweeney Todd und Mrs Lovett traditionellerweise von Schauspielern um die fünfzig gespielt. Burton wollte die beiden Hauptrollen jedoch mit deutlich jüngeren Schauspielern besetzen.
Der Altersunterschied der Figuren sollte etwas realistischer werden, mit Schauspielern um die vierzig und echten Teenagern. Auf der Bühne sind es ja meist Dreißigjährige, die die Teenager spielen. ImFilm würde das unglaubwürdig wirken. Das Ganze hat mich an die Geschichte von Bonnie und Clyde erinnert, und an Bette Davis. Als sie etwas älter wurde, hatte sie so etwas Melancholisches an sich, eine emotionale Tiefe, die gut zu der Geschichte passt.
Johnny Depp, der in den Achtzigern in Florida in einer Band namens The Kid Gitarre gespielt und die zweite Stimme gesungen hatte, war Burtons erste Wahl für die Hauptrolle. Ende 2001 hatte Burton Depp in seinem Haus in Südfrankreich besucht und ihm eine CD von der Musicalfassung mit Angela Lansbury in der Hauptrolle mitgebracht, mit der Bitte, sie sich anzuhören. Doch erst fünf oder sechs Jahre später sprach Burton mit Depp tatsächlich über die Rolle und fragte ihn, ob er sich vorstellen könnte, sie zu singen.
Ich wusste, dass er sehr musikalisch ist, Gitarre spielt und einmal in einer Band war. Auch wenn ich nicht sicher war, ob er damals tatsächlich gesungen hatte, und ich ihn selber auch nie singen gehört hatte.Trotzdem war ich sicher, dass er es hinkriegen würde. Außerdem war mir klar, dass er nur mitmachen würde, wenn er es sich wirklich zutraut.
Für die Rolle des Sweeney ließen sich Burton und Depp von einigen Stars der Stummfilmära inspirieren, insbesondere von Horror-Ikonen wie Lon Chaney Sr., Boris Karloff und Peter Lorre – Schauspieler, die sie beide in ihrer Kindheit sehr gemocht hatten.
Wir hatten uns oft über Stars aus alten Horrorfilmen unterhalten und wollten schon immer mal zusammen einen Film machen, in dem sich dieser Schauspielstil einsetzen ließe. Dafür war SWEENEY TODD perfekt geeignet. Der Schauspielstil in diesen Filmen ist sehr zeittypisch, aber irgendwie auch klassisch. Wenn man sich Peter Lorre in Mad Love anschaut oder Boris Karloff – ihre Darbietung hat etwas Archaisches, das mir sehr gefällt.
Anthony (Jamie Campbell Bower) und Mrs Lovett (Helena Bonham Carter)
W ie bei EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN erinnert Depp mit seiner Performance an einen Stummfilmdarsteller. Die Gefühle der Figur werden eher über die Augen und die Gesichtsausdrücke transportiert als über den Dialog.
Während der Dreharbeiten haben wir immer wieder Textzeilen gestrichen. Anders als im Theater ist man im Kino sehr nah an den Figuren dran. Die Schauspieler können vieles allein mit Blicken ausdrücken. Als Zuschauer kann man besser zwischen den Zeilen lesen. Oft reicht es schon, wenn der Zuschauer sieht, dass im Kopf einer Figur etwas vorgeht, auch wenn nicht ganz klar ist, was.
Eine weitere direkte Inspiration war die Figur Doktor X, die in dem gleichnamigen Film von 1932 von Lionel Atwill gespielt wird und in der Fortsetzung Die Rückkehr des Dr. X sieben Jahre später von Humphrey Bogart.
Das war ziemlich erstaunlich – Humphrey Bogart als Monster! Genauso habe ich es auch bei Johnny als Sweeney Todd empfunden. Es ist absolut cool, ihn in einer solchen Rolle zu sehen, weil es einfach so bizarr und fantastisch ist.
Sweeney Todd besitzt alle Eigenschaften einer typischen Burton-Figur, die häufig gesellschaftliche Außenseiter oder Eigenbrötler sind. Während Burton nach eigener Aussage normalerweise einige Jahre braucht, bis er
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