Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
Erzähler. Damals wäre es mir wahrscheinlich egal gewesen, ob es ein Kino-, Fernseh- oder Kurzfilm wird. Hauptsache,das Projekt kam zustande! Das Seltsame war jedoch, dass die Idee zwar auf viel Zuspruch stieß, ich mich jedoch bald fühlte wie in der Fernsehserie Nummer 6 – alle sind unglaublich freundlich zu einem, aber man weiß, dass man nie irgendwohin gelangen wird. Ich habe das Projekt bei verschiedenen Sendern vorgestellt, habe Storyboards und Skizzen gezeichnet, und Rick Heinrichs hat ein kleines Modell von Jack angefertigt. Den Leuten gefiel die Idee, aber nicht genug, um sie tatsächlich umzusetzen. Damals wurde ich das erste Mal mit der Mentalität des Showbusiness konfrontiert. Überall bekommt man ein breites Lächeln, und es heißt: »Ja, das werden wir auf jeden Fall machen!« Aber je länger man das Projekt verfolgt, desto unwirklicher wird es.
Jack Skellington – schwarze Löcher statt Augen
Nach VINCENT war ich von der Stop-Motion-Technik sehr begeistert. Ich hatte unzählige Filme mit dieser Technik oder auch mit Knetanimation gesehen und war großer Fan der Harryhausen-Filme. Bei VINCENT ging es uns nicht darum, die Stop-Motion-Animation zu revolutionieren. Wir wollten gern den Design-Aspekt in den Vordergrund rücken, der für mich bei der Knetanimation immer ein bisschen verloren geht. Natürlich sollte NIGHTMARE besser werden als VINCENT , aber eher auf der emotionalen Ebene. Ich glaube, dass Gefühle bei dreidimensionaler Animation schwerer zu übermitteln sind. Beim Zeichentrick hat man es leichter, weil einem nicht so enge Grenzen gesteckt sind wie bei der Arbeit mit Puppen. Aber wenn die dreidimensionale Animation gut gemacht ist, dann kann sie viel wirkungsvoller sein, weil sie eine gewisse Präsenz besitzt, die der Zeichnung fehlt.
Bei den Figuren, die wir für NIGHTMARE entworfen haben, kam noch erschwerend hinzu, dass viele von ihnen keine Augäpfel besaßen. Die erste Regel der Animation lautet: Über die Augen werden die Gefühle ausgedrückt. Aber ein Großteil der Figuren in dem Film hat entweder keine Augen, oder sie sind zugenäht. Ich dachte, wenn es uns gelingt, diese Figuren zum Leben zu erwecken, dann ist das wirklich eine Leistung. Es war auch eine Reaktion darauf, dass ich bei Disney ständig diese Füchse mit den kitschigen feuchten Augen zeichnen musste. Die Idee einer Figur mit großen schwarzen Löchern anstelle von Augen hat mich einfach fasziniert.
Ein weiterer Anstoß war meine Begeisterung für Figuren wie den Grinch, die ziemlich gruselig wirken, es in Wahrheit aber gar nicht sind. Das geht auch auf meine Vorliebe für Monsterfilme zurück. Die Monster werden oft zu Unrecht als furchterregend und böse wahrgenommen, weil sie, genau wie viele Menschen, nach ihrem Äußeren beurteilt werden. Mir ist das in meinem Leben jedenfalls schon oft passiert. Deshalb kann ich mich auch so gut in Figuren hineinversetzen, die von ihrer Umwelt ganz anders wahrgenommen werden, als sie in Wirklichkeit sind. Jack ähnelt einigen Figuren aus der klassischen Literatur, die sehr leidenschaftlich einer Idee oder einem Gefühl nachjagen, ohne die Bestätigung zu erfahren, nach der sie sich sehnen, zum Beispiel Don Quijote. Ich glaube, das ist eine Art Urtrieb. Die Figur Jack hat ein paar Eigenschaften, die ich mag und mit denen ich mich identifizieren kann. Sie hat für mich eine Bedeutung.
Ursprünglich habe ich sie während meiner Zeit bei Disney entwickelt. Eine Zeit lang wurde in Betracht gezogen, das Ganze als Fernsehfilm oder Zeichentrick zu realisieren. Das wollte ich aber nicht. Ich beschloss deshalb, die Sache auf Eis zu legen, jedoch mit dem Gedanken, sie irgendwann wieder hervorzuholen. Bei manchen Projekten hat man das Gefühl: »Jetzt oder nie.« Bei NIGHTMARE war das aber damals nicht so.
Über die Jahre kehrten Burtons Gedanken immer wieder zu dem Projekt zurück, und 1990 bat er seinen Agenten, herauszufinden, ob Disney noch die Rechte an NIGHTMARE besaß, in der Hoffnung, den Film doch noch realisieren zu können.
Wir versuchten, unauffällig Nachforschungen anzustellen. Und natürlich hatte Disney die Rechte, weil sie an all meinen damaligen Arbeiten die Rechte besaßen. Wenn man bei Disney angestellt ist, muss man einen Vertrag unterschreiben, in dem steht, dass jeder Gedanke, den man während der Arbeit hat, Eigentum der Gedankenpolizei ist. Natürlich sind sie uns sofort auf die Schliche gekommen. Allerdings hatten sie nichts dagegen, das Projekt mit uns
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