Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
aufgewachsen ist, fühlt man sich immer irgendwie entrückt. Feste wie Halloween oder Weihnachten geben einem Halt und synchronisieren einen mit dem Rhythmus der Jahreszeiten. Und wenn schon das Klima in Kalifornien keine jahreszeitliche Stimmung aufkommen ließ, konnten wir zumindest in den Supermarkt gehen und dort die Halloween-Deko und die künstlichen Herbstblätter bewundern.
Ich bin ein großer Fan von Halloween. Das ist eine Nacht im Jahr, wo es keine Regeln gibt und die Fantasie regiert. Man kann sein, was man will. Es ist auf lustige Weise furchterregend. Die Leute wollen niemanden erschrecken, sondern mit ihren gruseligen Kostümen Lacher hervorrufen. Darum geht es bei Halloween und auch bei NIGHTMARE .
Das Budget von NIGHTMARE betrug weniger als 18 Millionen Dollar – ein Bruchteil der Kosten, die für die Produktion eines Zeichentrickfilms nötig sind. Der Film kam in den USA an Halloween 1993 in die Kinos und spielte 51 Millionen Dollar ein. Ironischerweise hat man unterstellt, er sei für Kinder zu gruselig.
Das ist wirklich interessant, denn genau darum geht es in der Handlung. Der Film enthält keine bösen Figuren. Selbst Oogie Boogie ist nicht wirklich böse. Er ist einfach einer von vielen merkwürdigen Bewohnern dieser merkwürdigen Stadt. Und dann haben wir eine Figur wie Jack. Er meint es gut und verfolgt mit großem Eifer ein bestimmtes Ziel. Aber letzten Endes wird er von allen falsch verstanden und verbreitet Angst und Schrecken. Die Reaktionen der Zuschauer spiegelten also genau das Thema des Films. Die Leute flippten aus, weil sie den Film zu gruselig fanden, dabei enthält er gar keine schlimmen Szenen. Kinder nehmen das viel gelassener. Wenn man ihnen den Film ohne ihre Eltern zeigt, finden sie ihn großartig. Aber wenn dieEltern dabei sind, heißt es gleich: »Das ist viel zu gruselig.« Es ist ein merkwürdiges Phänomen, das mir auch früher schon begegnet ist. War mir als Kind ein Film zu gruselig, habe ich ihn mir nicht angeschaut – schließlich hat mich keiner dazu gezwungen. Aber wenn die Eltern eine bestimmte Stimmung verbreiten, macht das die Kinder nervös.
»Ich bin ein großer Fan von Halloween.«
Der Film wurde unter dem Titel TIM BURTON’S NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS auf den Markt gebracht, weil das Studio ihn in einen bestimmten Kontext stellen wollte. Inzwischen hat sich mein Name fast schon zu einer Marke gewandelt, was ich selbst nicht richtig begreife. Damals hat mich das Studio davon überzeugt, dass es sinnvoll wäre, und ich habe meine Zustimmung gegeben. Das würde ich nicht bei jedem Film machen. Es gibt nur wenige Projekte, an denen mir persönlich so viel liegt. Bei VINCENT war das so und bei diesem Film auch. Aber die Reaktionen des Publikums kann man nicht wirklich steuern, wie ich beim ersten BATMAN -Film erfahren musste.
Manchmal sehe ich an den seltsamsten Orten Leute mit der NIGHTMARE -Uhr, die es damals bei Burger King gab – erst letztens etwa jemanden, der in der Carnegie Hall arbeitet. Das ist wirklich unglaublich. Manchmal sprechen mich Leute an, die ein kleines Bild von Jack dabeihaben. Ich finde es wunderbar, dass es Menschen gibt, denen der Film nahegeht, auch wenn es vielleicht nicht viele sind. Die meisten Leute und Kritiker verstehen einfach nicht, dass sich unter diesen merkwürdigen, infantil wirkenden Bildern echte Gefühle verbergen. Aber dass trotzdem immer wieder Leute unter der albernen Oberfläche den emotionalen Gehalt erkennen, bedeutet mir sehr viel.
Durch den großen Arbeitsaufwand und die lange Dauer der Dreharbeiten nahm NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS die komplette Zeitspanne in Anspruch, während der Burton eigentlich mit BATMANS RÜCKKEHR beschäftigt war. Es war das erste Mal, dass er an zwei Filmen gleichzeitig arbeitete.
Damals habe ich all meine Energie in zwei Projekte gesteckt – BATMANS RÜCKKEHR und NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS . Es war eine ziemliche Tortur. Ich kann mich schließlich nicht zweiteilen. Deshalb brauchte ich die richtigen Leute, die alle von Anfang an am selben Strang ziehen – das erspart einem zusätzlichen Stress und setzt ungeahnte kreative Energien frei. So arbeitet es sich einfach besser.
Vor den Leuten, die heute bei Disney das Sagen haben, muss ich wirklich meinen Hut ziehen. Sie haben das Studio zum Erfolg geführt und wissen genau, was sie tun. Als ich damals dort gearbeitet habe, gab es auch schon Leute, die eine Menge Talent hatten und Filme wie Arielle, die Meerjungfrau hätten
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