Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
Vergangenheit. Und dabei spielen die Eltern natürlich eine große Rolle. Wir alle sind das Produkt unserer Erziehung. Diese Erfahrungen haben uns geprägt, besonders wenn sie eher traumatisch waren. Das ist wohl die Befürchtung, mit der die meisten Eltern heutzutage leben: »Welche Traumata werde ich versehentlich bei meinem Kind zurücklassen?«
Wonka ist eine relativ komplexe Figur. Deshalb haben wir versucht, ihm eine Hintergrundgeschichte zu geben – etwas, das im Buch nicht vorkommt, weil es eher eine Art Märchen ist. Es erschien uns notwendig, damit die Figur nicht einfach nur als merkwürdig oder verschroben wahrgenommen wird und wir uns besser in sie hineindenken konnten.
Wonka ist gewissermaßen in seiner Entwicklung stehen geblieben. Mit John August habe ich viel darüber geredet, und ihm ist es immer wieder gelungen, kleine Details in das Drehbuch einzubauen, die die Figur menschlicher erscheinen lassen. Wir wollten Wonka ein psychologisches Profil geben, und ich erinnere mich, dass wir uns auch einmal über Zahnspangen und Zahnärzte unterhalten haben.
Als Kind hatte ich alle möglichen Zahnspangen. Es war eine furchtbar schmerzhafte Erfahrung. Außerdem wurde man von anderen Kindern gemieden. Ich hatte eine dieser riesengroßen Spangen, die den ganzen Kopf umschließen. Wenn sie festgezogen wurde, hatte man das Gefühl, jemand würde einem Schrauben in den Kopf drehen. Und dann dieser pochende Schmerz im Mund. Im Film ist das ziemlich symbolisch: Man hat dieses hässliche Ding am Kopf und empfindet sich sowieso schon als Außenseiter, hat nur wenig Freunde und kann mit anderen nicht richtig kommunizieren. Das passte alles zusammen.
Burtons Skizze zur Zahnspange des jungen Wonka
Die Zahnspange war also ein Symbol für die Unfähigkeit, zu anderen Menschen Beziehungen aufzubauen. Man verliert den Kontakt zur Außenwelt, und das sogar im wörtlichen Sinne. Ich erinnere mich, dass ich den Kopf nicht auf der Matratze ablegen konnte, wenn ich mit der riesigen Spange ins Bett ging. Ich schwebte ein paar Zentimeter über der Matratze, sabbernd und von Schmerzen geplagt. Eine traumatische Erfahrung! Genau wie die Besuche beim Zahnarzt. Nimmt man dann noch den Einfluss der Eltern hinzu, ergibt das eine wirklich gefährliche Mischung …
Johnny Depp war Burtons erste Wahl für die Rolle des Wonka. Es sollte ihre vierte Zusammenarbeit sein. Diesmal musste Burton jedoch nicht wie bei EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN oder SLEEPY HOLLOW mit den Studioleitern darum ringen, Depp besetzen zu dürfen. Wegen seiner Rolle in Fluch der Karibik , die ihm eine Oscar-Nominierung eingebracht hatte, war das Studio sofort mit ihm einverstanden.
Zum ersten Mal musste ich mir keine anderen Schauspieler anschauen. Das Studio war mit meiner Wahl vollkommen zufrieden. Früher hat es immer endlose Diskussionen gegeben, obwohl ja eigentlich alle wissen, dass Johnny ein guter Schauspieler ist. Es war sehr erholsam, einmal nicht um die Besetzung kämpfen zu müssen.
Ich arbeite gern mit Johnny, weil er immer bereit ist, neue Dinge auszuprobieren, und auch die nötigen Fähigkeiten dazu besitzt. Natürlich ist es immer riskant. Man weiß nie, ob es wirklich funktionieren wird. Aber diese Ungewissheit hat auch ihren Reiz. Er ist ein wunderbarer Charakterdarsteller.
Über die Jahre hat sich unsere Beziehung kaum verändert. Bei der Zusammenarbeit mit ihm ergibt sich vieles wie von selbst. Wir unterhalten uns, sammeln Ideen, ohne uns auf etwas festzulegen. Es ist eher ein langsamer, sehr organischer, intuitiver Entstehungsprozess. Und das ist für mich das Spannende daran, weil man vorher nie weiß, was dabei herauskommen wird.
Wenn man das Buch als Kind liest, hinterlässt es einen bleibenden Eindruck. Als Erwachsener stellt man aber interessanterweise fest, dass die Figur Willy Wonka viel Raum für Interpretationen lässt. Wirhaben uns von den Moderatoren einiger Kindersendungen inspirieren lassen, die wir früher gesehen haben. In Amerika hat jede Stadt ihren eigenen Fernsehsender, auf dem auch Kindersendungen mit wirklich schrägen Figuren laufen: Mr Wishbone, The Pancake Man, Captain Kangaroo und sein Gehilfe Mr Green Jeans, Baby Daphne oder so eine seltsame Hexe. Selbst als Kind fand ich die schon merkwürdig. Sie schienen irgendeinem Traum oder Albtraum entsprungen zu sein. Da tritt ein Typ mit einem Cowboyhut auf oder ein Mann in einem seltsamen Freizeitanzug oder Captain Kangaroo, dieser Kerl mit dem merkwürdigen
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