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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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ihm um und sagte: »Mach dir keine Sorgen, Mr. Bones. Das ist nicht damals, sondern jetzt.«
    »Was soll das heißen?« entgegnete der Hund, und die Worte kamen ihm so fließend über die Lefzen, waren so offenkundig das Ergebnis einer langjährigen, eindeutig bewiesenen Fähigkeit zu sprechen, wann immer er etwas zu sagen hatte, daß Mr. Bones nicht im geringsten über das soeben geschehene Wunder staunte.
    »Das soll heißen, daß du es völlig falsch anpackst«, sagte Willy. »Von Baltimore weglaufen, über bescheuerte Weideflächen schleichen, ohne vernünftigen Grund hungern. So geht das nicht, mein Freund. Du mußt dir ein neues Herrchen suchen, sonst bist du bald hinüber.«
    »Ich hab doch schließlich Henry gefunden, oder?« sagte Mr. Bones.
    »Ein Goldjunge, und grundehrlich. Aber nicht gut genug. Das ist das Problem mit den jungen Leuten. Sie meinen es gut, aber sie haben keine Macht. Du mußt dich nach ganz oben orientieren, Mr. Bones. Finde raus, wer der Boß ist. Finde raus, wer die Entscheidungen trifft, und dann häng dich an diese Person. Anders geht es nicht. Du brauchst ein neues Heim, aber daraus wird erst was werden, wenn du endlich anfängst, deinen Grips zu gebrauchen.«
    »Ich war verzweifelt. Woher sollte ich denn wissen, daß sein Vater eine solche Laus ist?«
    »Ich hab dich doch vor solchen Orten gewarnt, oder? Sobald du gesehen hast, worauf du dich da einläßt, hättest du deine Chips einlösen und die Beine in die Hand nehmen müssen.«
    »Das hab ich ja. Und wenn ich morgen früh aufwache, werde ich weiterlaufen. Das ist jetzt mein Leben, Willy. Ich laufe, und ich werde so lange weiterlaufen, bis ich umfalle.«
    »Du darfst nicht an den Menschen verzweifeln, Bonesy. Du hast ein paar üble Schläge abbekommen, aber du mußt durchhalten und es weiter versuchen.«
    »Den Menschen ist nicht zu trauen. Das weiß ich jetzt.«
    »Aber mir traust du doch, oder?«
    »Du bist der einzige, Willy. Du bist nicht wie die anderen Menschen, und jetzt, wo du weg bist, gibt es keinen Flecken mehr auf der Erde, wo ich nicht in Gefahr bin. Gestern zum Beispiel wär ich fast erschossen worden. Ich hab irgendwo eine Abkürzung über ein Feld genommen, und da ist mir so ein Typ in einem roten Pickup hinterhergerast. Gelacht hat er dabei, und dann hat er zum Gewehr gegriffen und geschossen. Zum Glück hat er mich verfehlt. Aber wer weiß, was das nächste Mal passiert.«
    »Das war doch nur ein Einzelfall. Für jeden, der so ist, gibt’s einen anderen wie Henry.«
    »Da vertust du dich aber, Herrchen. Es gibt vielleicht ein paar vereinzelte Idioten mit einem weichen Herz für Hunde, aber die meisten zögern keine Sekunde, ihre Schrotflinte zu laden, sobald ein Vierbeiner auch nur einen Fuß auf ihren Grund und Boden setzt. Ich hab Angst, Willy. Ich hab Angst, nach Osten zu gehen, und Angst, nach Westen zu gehen. So wie es aussieht, denk ich, ich verhungere lieber hier draußen in der Wildnis, als vor eine dieser Flinten zu laufen. Die bringen einen um, nur weil man atmet, und was kann man schon machen, wenn man sich einem solchen Haß ausgesetzt sieht?«
    »Na gut, wenn du willst, dann gib auf. Kann mir doch schnuppe sein. Ich könnte mich hier hinsetzen und dir erzählen, daß alles gut wird, aber wozu soll ich dir was vorlügen? Vielleicht wird tatsächlich alles gut, vielleicht auch nicht. Ich bin kein Wahrsager, und die Wahrheit lautet nun mal, daß nicht alle Geschichten glücklich enden.«
    »Das versuch ich dir ja gerade klarzumachen.«
    »Ich weiß. Und ich behaupte ja auch nicht, daß du dich irrst.«
    Bis zu diesem Augenblick war die U-Bahn in stetem Tempo durch den Tunnel gerast und an den Stationen durchgefahren, ohne anzuhalten. Plötzlich hörte Mr. Bones Bremsen quietschen, und der Zug wurde langsamer. »Was ist los?« fragte er. »Warum fahren wir nicht mehr so schnell?«
    »Ich muß aussteigen«, sagte Willy.
    »Jetzt schon?«
    Willy nickte. »Ich gehe jetzt«, sagte er, »aber bevor ich verschwinde, wollte ich dich an etwas erinnern, das du vielleicht vergessen hast.« Er war bereits aufgestanden und wartete darauf, daß sich die Türen öffneten. »Erinnerst du dich noch an Momsan, Mr. Bones?«
    »Natürlich erinnere ich mich an sie. Für wen hältst du mich?«
    »Die haben sie auch umzubringen versucht. Sie haben sie gejagt wie einen Hund, und sie mußte um ihr Leben laufen. Auch die Menschen werden manchmal wie Hunde behandelt, Freundchen, und manchmal müssen sie in Scheunen und auf

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