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Timbuktu

Timbuktu

Titel: Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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als er auf den nassen Hintern fiel.
    »Ja, nett ist er wohl«, sagte die Frau zu ihrer Tochter, als müsse sie ihr in einem wichtigen Punkt recht geben. »Aber schau dir nur mal diese gottserbärmliche Jammergestalt an. Ich glaube nicht, daß ich schon jemals ein dreckigeres, zerzausteres und heruntergekommeneres Geschöpf gesehen habe.«
    »Nichts, was man nicht mit ein wenig Seife und Wasser wieder hinkriegen kann«, entgegnete das Mädchen. »Schau doch nur, Mama. Er ist nicht nur lieb, er ist auch klug.«
    Die Frau lachte. »Woher willst du das denn wissen, Alice? Er hat doch noch gar nichts getan, außer deinem Bruder das Gesicht abzuschlecken.«
    Alice kauerte sich vor Mr. Bones und nahm seinen Unterkiefer in die Hände. »Zeig uns doch mal, wie klug du bist, alter Junge«, sagte sie. »Zeig uns ein Kunststück oder so was, ja? Du weißt schon, dich rollen oder auf die Hinterbeine stellen. Zeig Mama, daß ich recht habe.«
    Für einen Hund mit seinen Fähigkeiten waren das kaum schwierige Aufgaben, und Mr. Bones machte sich umgehend daran zu zeigen, was er konnte. Zuerst rollte er sich im Gras - nicht einmal, sondern gleich dreimal -, und dann spannte er den Rücken, zog die Vorderpfoten an die Schnauze und erhob sich langsam auf die Hinterläufe. Es war schon Jahre her, daß er diesen Trick das letzte Mal versucht hatte, doch obwohl ihm alle Gelenke weh taten und er stärker schwankte, als ihm lieb war, schaffte er es, die Position drei oder vier Sekunden lang zu halten.
    »Siehst du, Mama? Was hab ich dir gesagt?« sagte Alice. »Er ist der klügste aller Hunde.«
    Nun kauerte sich auch die Frau zum erstenmal vor Mr. Bones, und obwohl sie eine Sonnenbrille trug und immer noch den Strohhut auf dem Kopf hatte, konnte er erkennen, daß sie mit ihren blonden, im Nacken gelockten Haaren und dem ausdrucksstarken, vollippigen Mund sehr schön war. Als sie ihn in ihrem trägen, langgedehnten Südstaatenakzent ansprach, schauderte es ihn inwendig, und als sie ihm mit der rechten Hand den Kopf tätschelte, hatte er das Gefühl, sein Herz müßte jeden Augenblick in tausend Stücke zerspringen.
    »Du verstehst, was wir zu dir sagen, oder, mein Alter?« sagte sie. »Du bist was ganz Besonderes, stimmt’s? Und du bist müde und zerschlagen, und du brauchst was Anständiges im Magen. Das ist es doch, Oldtimer? Du bist einsam und verlassen, und du bist vollkommen erschöpft.«
    Gab es je einen glücklicheren Hund als Mr. Bones an jenem Nachmittag? Ohne lange Umstände und ohne jeden weiteren Druck, sich einschmeicheln oder beweisen zu müssen, was für eine gute Seele er war, wurde der müde Hund vom Garten ins Familienheiligtum gebracht. Dort fraß er sich in einer strahlendweißen Küche satt, umgeben von frisch lackierten Küchenschränken und glänzenden metallenen Gerätschaften. Das Ganze hatte einen Anstrich von Opulenz, den er auf Erden nicht für möglich gehalten hätte. Er verschlang die übriggebliebenen Stücke Roastbeef, eine Schale Käsemakkaroni, zwei Dosen Thunfisch und drei rohe Hot Dogs, von den zweieinhalb Schüsseln Wasser, die er zwischen den Gängen wegschlappte, ganz zu schweigen. Er hatte sich zurückhalten und ihnen beweisen wollen, daß er ein Hund war, der nicht viel Futter brauchte und wirklich keine Mühe machte, doch als das Futter erst vor ihm stand, war sein Hunger einfach viel zu mächtig, und er vergaß den Schwur, den er geleistet hatte.
    All das schien seine Gastgeber nicht zu stören. Sie waren gutherzige Menschen, und sie wußten, wann ein Hund Hunger litt, und wenn Mr. Bones so ausgehungert war, machte es sie glücklich, ihn zu beköstigen, bis er sich satt gefressen hatte. Er fraß in einer seligen Trance und kümmerte sich um nichts anderes, als Futter ins Maul zu bekommen und es die Kehle hinuntergleiten zu lassen. Als er endlich fertig war und aufblickte, um nachzuschauen, was die anderen machten, sah er, daß die Frau Hut und Sonnenbrille abgenommen hatte. Sie beugte sich vor, um die Schüsseln vom Boden aufzuheben, und er blickte ihr kurz in die graublauen Augen und erkannte, daß sie in der Tat eine große Schönheit war, eine jener Frauen, bei denen den Männern der Atem stockte, wenn sie ins Zimmer traten.
    »Na, mein Alter«, sagte sie und strich ihm mit der flachen Hand über den Kopf, »fühlst du dich besser?«
    Mr. Bones rülpste einmal leise und dankbar, und dann begann er ihr die Hand zu lecken. Plötzlich kam Tiger, den er fast schon wieder vergessen hatte,

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