Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
gegen den Schlaf an. Es waren weniger Fliegen geworden.
Mühsam erhob er sich, als er sah, wie RaEms Gartentor geöffnet wurde und eine weißgekleidete Gestalt hinausschlüpfte. Es war RaEm, deren federleichter Gang plötzlich zielstrebig geworden war. Sie ging direkt auf den Fluß zu, und er folgte ihr dichtauf. In regelmäßigen Abständen blieb sie stehen und lauschte, dann setzte sie ihren Weg fort. Sobald sie das verlassene Ufer erreicht hatte, nahm sie auf einer Lehmziegelmauer Platz. Aus ihrem Umhang zog sie drei zu einem Dreieck gebundene Stöcke mit einem weiteren Stock dahinter, der die gesamte Konstruktion abstützte. Sie legte ein Stück Papyrus darüber und begann, Tinte zu mischen.
Sie zeichnet wieder, dachte er. Er war mit ihrer nächtlichen Gewohnheit vertraut geworden, während sie den Nil heruntergefahren waren. Damals hatte er diese Beschäftigung eigenartig gefunden, doch andererseits war es ihr tagsüber so elend gegangen, daß dies ihre einzige Form der Unterhaltung gewesen war. Er hatte sich eindeutig wie ein Esel benommen. Doch hier malte sie wieder, mitten in einer Fliegenplage, mitten in der Nacht, nachdem sie dem Mörder ihres Kindes ein Messer an die Kehle gesetzt hatte. Er beobachtete, wie sie mit ein paar schnellen Strichen die Szenerie einfing, fast als wäre dieser Augenblick in der Zeit erstarrt. Offenbar war dies nicht einfach nur ein Zeitvertreib, dem sie gelegentlich nachging. Würde er jemals schlau aus ihr werden?
Ihn verwirrten die Widersprüche, die RaEmhetepet in sich vereinte, und seine Verwirrung steigerte sich exponentiell, als er sie jetzt beobachtete. Er hätte sie für herzlos gehalten, hätte er sie nicht in seinen Armen gewiegt, als sie begriffen hatte, daß ihr Kind verloren war. Hätte er nicht die Panik in ihrer Stimme gehört, hätte er sie heute nacht als herzlose Schlange abgestempelt. Doch da er all das wußte, empfand er Ehrfurcht vor ihrer Mühe, ihrer Energie und dem Durchhaltevermögen, das sie an den Tag legte.
Der Mondschein strich über ihre kurzen schwarzen Haare, brachte ihre grünen Augen zum Glühen wie die einer Katze und küßte ihre vollen Lippen. Er spürte ein Ziehen in seinem Unterleib, einen blindmachenden Rausch. Diese physische Reaktion auf RaEm war ihm nicht neu, doch diesmal spürte er zugleich, wie ihm das Herz eng wurde, als er überlegte, wie zäh diese Frau war. Hatte er sie jemals richtig gekannt? Im Grunde war sie noch ein Kind gewesen, als er sich damals in der Nacht aus dem Harem Pharaos geschlichen und sich mit ihr im Garten getroffen hatte. Sie war so schön und zerbrechlich gewesen, und zugleich so ängstlich vor allem um sie herum. Jetzt überdeckte die Erinnerung an ihren Kuß auf der Pyramide jene verblaßten Momente und steigerte zusätzlich den bereits prekären Druck unter seinem Schurz.
Was war mit jenem jungen Mädchen passiert? Was hatte sie derart verdorben? Es war zu leicht, alles nur auf Nesbek oder Pakab zu schieben. Es mußte auch einen inneren Antrieb geben, der sie das Verbotene suchen ließ. Woher wollte er wissen, was das war? Er hatte sie jahrelang nicht mehr gesehen, bis sie schließlich auf Hats Feier offiziell miteinander bekannt gemacht wurden und RaEm ihn auf ihr Gut in Goshen eingeladen hatte. Würde er es jemals erfahren? Er lehnte sich gegen einen der vielen Bäume am Ufer und nickte, den Blick fest auf RaEm gerichtet, ein.
Chloe betrachtete die Zeichnung. Sie hatte den Weg des Mondes über den Nil oberhalb der Baumgruppe festgehalten, obwohl das nicht leicht war ohne eine feinere Spitze. Mit einem zufriedenen Seufzen packte sie die Tuschepinsel ein und faltete die behelfsmäßige Staffelei zusammen. Mit dem noch trocknenden Werk in der einen Hand und der vollen Leinentasche in der anderen machte sie sich auf den Rückweg zum Palast. Im Osten verblaßte der Horizont bereits zu leichtem Grau.
Beim Anblick der im Gras liegenden Hand blieb ihr fast das Herz stehen. Das Licht der nahenden Dämmerung ließ sie aus dem Dunkel hervortreten, zeichnete die eckigen Fingerkuppen elfenbeinfarben nach und verlieh dem Skarabäusring mit dem Tigerauge ein dämonisches Leuchten. Chloe unterdrückte einen Schrei und ließ ihre Sachen fallen. Herzklopfend schlich sie um den Baum herum.
Cheftu.
Das Blut wich ihr aus dem Gesicht, sie fiel auf die Knie und bedeckte sein Gesicht mit Küssen, die Kehle zugeschnürt von Tränen, bis ihr aufging, daß er noch atmete und lebendig war.
Und wach, ausgesprochen
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