Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
Es ist undenkbar, daß ein niedriggeborener Fremder sich in Amuns Gegenwart aufhalten darf! Das wird die Ma’at vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen! So etwas hat man noch nie gehört! Kein Wunder, daß Pharao ihren Neffen nicht auf den Thron läßt«, flüsterte er. »Er kennt keinen Anstand, keinen Respekt. Das hier ist ungeheuerlich.«
Chloe fuhr sich mit müder Hand über das Gesicht und handelte sich für ihre Mühen zwei zusätzliche Bisse auf dem Handrücken ein. »Es kommt überraschend«, sagte sie.
»Willst du etwa zulassen, daß in Hathors geheiligten Hallen so etwas vonstatten geht?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Falls wir es nicht zulassen, wird es bald niemanden mehr geben, der dort huldigen könnte. Die Menschen werden sterben, vergiftet, krank oder verhungert. Wir müssen entscheiden, welches von beiden Übeln das schlimmere ist. Wir sitzen zwischen dem hungrigen Sobek und Seth selbst.«
Widerwillig den Kopf schüttelnd, mußte er ihr recht geben.
»Wir –«
Thut, der wieder hereinstolziert kam, brachte ihn zum Verstummen. »Die Fliegen werden verschwinden«, verkündete er. »Doch sie haben sich geweigert, in unseren Tempeln zu beten. Sie haben behauptet, man würde sie dafür steinigen, und damit haben sie nicht unrecht.« Er seufzte schwer. »Ich habe ihnen erlaubt, in die Wüste zu gehen, aber nur eine gewisse Entfernung.«
Einer der Priester meldete sich zu Wort. »Horus-im-Nest hat also vor ein paar Sklaven gekuscht?«
Entsetzt sah Chloe den Sprecher an. War er verrückt? Wie konnte er es wagen, so zu sprechen? Thuts Gesicht war rot angelaufen, doch seine Miene wirkte zerknirscht.
Der Priester fuhr fort. »Ich bin ein alter Mann und habe viele Überschwemmungen miterlebt, deshalb kann ich frei sagen, was ich denke. Was ist, wenn die anderen Stämme unter den Apiru versuchen, sich ihre Freiheit auf dieselbe Weise zu erpressen? Dann könnte Ägypten fast menschenleer zurückbleiben! Meine Majestät Hatschepsut, ewig möge sie leben!, wird gar nicht erfreut darüber sein, daß du mit Sklaven verhandelt hast.«
Thuts Lippen gefroren zu einem dunklen Strich. »Meine hochgeschätzte Tante wünscht sich vor allem Frieden. Sie würde eher mit Sklaven vorliebnehmen, als daß alle zehn Tage ein neuer Fluch über das Land kommt. Ich habe hier die Macht. Und mein Entschluß steht fest.« Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Der alte Priester folgte ihm, den dünnen, gebrechlichen Leib in ellenlanges Leinen gehüllt, über das er das Leopardenfell seines Amtes ausgebreitet hatte. Die Versammlung löste sich allmählich auf, und die Priester kehrten wieder in die verschiedenen Tempel Unterägyptens zurück.
Chloe schlüpfte neben einer Säule an der Seite aus dem Saal und stellte überrascht fest, daß Re beinahe verschwunden war. In der Luft lag ein fettes Surren, und sie floh im Laufschritt zurück zu ihren Gemächern, gepeinigt von den Fliegen, die wütend durch ihre Leinenlagen stachen. Fluchend unter dem ärgerlichen Juckreiz, bog sie um die Ecke, hinter der ihre Räume lagen. Die Wachen, die üblicherweise jeden Durchgang bewachten, waren verschwunden, und sie handelte sich ein paar weitere Stiche ein, weil sie den Blick senkte und feststellte, daß ihre Sandale aufgegangen war. Ich bin gleich drinnen, dachte sie hastig.
Und stolperte prompt. Wegen der eng gewundenen Leinengewänder konnte sie sich nicht abfangen und stürzte auf das Gesicht. Augenblicklich rollte sich Chloe beiseite, um den unzähligen Fliegen am Boden zu entgehen und keines der Insekten ins Auge zu bekommen. Herzhaft fluchend rappelte sie sich wieder hoch und probierte Gelenke und Arme aus, um sicherzugehen, daß ihr nichts passiert war. Dann drehte sie sich mit zusammengezogenen Brauen und zusammengebissenen Zähnen um.
Nesbek stand vor ihr, den rundlichen Körper in das leuchtende Rot gewickelt, das er so liebte. Chloe zischte ihn an. Sie war zu wütend, um Angst zu haben.
»Herrin.«
Sie brüllte ihn nicht an, doch ihr Tonfall schnitt tief ins Fleisch. »Ich bin nicht deine Herrin. Bleib mir vom Leib, du Sohn eines Khefts! Ich weiß nicht, welche Geheimnisse du über mich hast, doch ich bin fertig mit dir! Deine Gegenwart ist übler Gestank in meiner Nase! Ich finde deine Lebensweise genauso abstoßend wie deinen Anblick.« Sie lächelte, denn sie genoß den Ausbruch, nachdem sie monatelang die einfältige hilflose Priesterin gespielt hatte. »Wenn du mich jemals wieder berühren oder mit mir
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