Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
Fieberhaft begannen sie zu arbeiten, versuchten, die Äste am Umfallen zu hindern, und banden schließlich die Zweige mit Chloes Schärpe am Rahmen fest. Dann schlüpften sie hinein, und Cheftu nahm ihre beiden Umhänge, um sie auf die Holzstifte zu spießen, so daß sie wenigstens eine Vorhangtür hatten. Besser konnten sie sich nicht schützen. Zitternd hielten sie sich in den Armen. Chloe roch Cheftus Angst und hörte sein Herz pochen. Vielleicht würde er heute nacht sterben.
»Ich bete zu Gott, daß er darüber hinwegsieht, wie viele seiner Anweisungen wir nicht befolgt haben«, sagte Cheftu. »Wir haben kein Lamm, keine Kräuter, kein ungesäuertes Brot. Laß uns beten, daß er uns gnädig ist.« Sie ließen sich in einer Ecke nieder, kuschelten sich in der Dunkelheit eng zusammen und lauschten.
Chloe dachte an die vielen Türen ohne Blut, die sie gesehen hatte, und weinte leise an Cheftus seidigweicher Brust. Er strich ihr mit schlotternder Hand übers Haar.
» J’aime et j’espère, Chloe.«
Ich liebe und ich hoffe.
Ein naher Schrei zerfetzte die Nacht. Sie faßten einander fester. Ein paar Straßen entfernt stieg klagendes Heulen auf. Bald wurde die Luft von Trauer-, Furcht- und tiefstem Angstklagen zerrissen. Chloes Tränen versiegten, als sie dem Lärm um sie herum lauschte.
»Dieser Schmerz«, hauchte sie. »Wie kann man nur zu einem solch grausamen Gott beten? Ich habe mir nie wirklich Gedanken über Gott gemacht, ich meine, so ganz persönlich. Doch in den letzten Wochen, als sogar Thut und seine Priester Beulen bekamen, ohne daß sie irgend etwas dagegen unternehmen konnten, habe ich angefangen, mir Fragen zu stellen.«
Cheftu hob ihr Kinn an und sah sie in der Dunkelheit mit seinen bernsteingelben Augen an.
»Wie bösartig muß ein Gott sein, derart zu strafen …«
Ihr versagte die Stimme.
Cheftu sah sie tiefernst an. »Gott hat das nicht aus Bösartigkeit getan. Immer wieder hat er durch Moshe gesprochen, doch Thutmosis wollte ihm einfach nicht zuhören. Er hat sich so vor Hatschepsuts Zorn und ihrer Verachtung gefürchtet, er hatte solche Angst, sein Gesicht zu verlieren, daß er ständig seine Meinung geändert hat. Er hat mit Gott gehandelt und sein Wort nicht gehalten, Chloe. Thutmosis selbst hat wider besseres Wissen gehandelt. Außerdem«, dabei wurde sein Ton noch eindringlicher, »war Hat diejenige, die beschlossen hatte, die Erstgeborenen der Israeliten als Geiseln zu nehmen. Gott hat ihr einfach ins Herz gesehen und Moshe darauf vorbereitet. Also hat Pharao selbst diese Plage über Ägypten gebracht, nicht Gott.«
Er blickte nachdenklich zu ihrer Vorhangtür hin. »So wie Thut viele Male bereits die Entscheidung getroffen hat, wann die jeweilige Plage enden sollte, so hat das Große Haus entschieden, worin diese letzte Tragödie bestehen soll, und zwar durch einen einzigen Satz aus ihren goldenen Lippen.«
Die Schreie um sie herum wurden schlimmer und schienen ständig lauter zu werden. Chloe preßte sich fester an Cheftu und betete inständig zu Gott, der ihr plötzlich als größte Macht im Universum erschien. Die ihr in einem Atemzug Cheftu nehmen konnte. Mit tränennassem Gesicht klammerte sie sich an ihm fest, voller Zorn auf und Furcht vor dem Engel, der ihr Cheftu vielleicht rauben würde.
»Wir erleben die biblische Geschichte«, sagte Cheftu mit belegter, fassungsloser Stimme. »Das größte Wunder kommt erst noch.« Schweigend saßen sie da, bis die Nacht um sie herum still wurde. Ein qualvoll naher Schrei brachte ihre Herzen wieder zum Klopfen. In Chloes Nacken stellten sich die Haare auf, als ihre notdürftige Tür in einer unvermittelt aufkreischenden Windbö wütend zu flattern begann. Ein Schmerz durchfuhr sie wie eine Sonde. Sie starrte in die Türöffnung und erblickte eine angstgebietende Erscheinung. Cheftus Körper spannte sich an, und Chloe versteckte voller Entsetzen ihr Gesicht an seiner Brust. Bestimmt hatten ihre Augen sie getäuscht!
Doch Cheftu atmete immer noch.
Die Nacht wurde wieder ruhig, und sie schliefen in den Armen des anderen ein. Als Cheftu aufwachte, schmerzten seine steifen Muskeln. Er stand auf, trat an die Vorhangtür und wagte einen Blick hinaus.
Der Himmel war samtschwarz, ohne daß irgendwo der Mond zu sehen war, doch im Osten konnte er den rosigen Schimmer der nahenden Morgendämmerung ausmachen. Chloe stellte sich zu ihm und drückte ihren angespannten, warmen Körper in der kühlen Nachtluft gegen den seinen. Kein Mensch war
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