Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
durch die Straßen hallten. »Ich habe einen Bruder, Jean-Jacques.« Er holte Luft.
»Hier bin ich jedoch der Älteste.«
Seine Worte trieben sie von neuem an, und so flohen sie weiter in das Viertel der Apiru.
»Cheftu, sieh nur!« flüsterte sie mit vor Angst bebender Stimme.
Er wußte, was sie sehen würden. Dennoch wollte er nicht glauben, daß dies die richtige Zeit war; es paßte nicht zu dem, was die Geschichtsforscher berichteten. Ramses war der Pharao des Exodus. Ramses, der die Kinder Israels an Pi-Ramessa hatte bauen lassen, der sie Lehmziegel ohne Stroh machen ließ. Offenkundig war nicht alles richtig, was François als Geschichte gelernt hatte. »Auf Türsturz und Türstöcken ist Blut?«
»Genau.« Chloe wandte sich langsam ab und sah zu dem aufgeblasenen, roten Mond auf. »Heute nacht geht der Engel durch die Straßen und trennt die Gläubigen von den Ungläubigen. Hast du das nicht gesagt?« Ihr Blick war immer noch auf den Mond gerichtet. »Er scheint ständig größer und röter zu werden.«
Cheftu spürte, wie sie unter dem dünnen Umhang zitterte.
»Stimmt. Wir müssen uns beeilen. Meneptah wird auf uns warten. Er hat gewußt, was ich heute nacht vorhatte, und wenn wir nicht auftauchen, wird er sich Sorgen machen.« Er gab ihr einen schnellen Kuß auf die Stirn, dann eilten sie weiter die dunkle Straße entlang, mit schnellen, doch behutsamen Schritten.
Die schmalen Gassen wanden und teilten sich in mitternachtsblaue Sackgassen, düstere Irrwege und vollkommene Verwirrung. Plötzlich blieb Chloe stehen. Ihr Mund war wie ausgedörrt. »Wo sind wir, Cheftu? Wieso ist kein Licht in den Häusern?« Angst stand in ihren mondbeschienenen Augen, als sie ihn ansah. »Ich glaube, wir finden nicht mehr rechtzeitig hin, Cheftu«, prophezeite sie mit wackliger Stimme und sah zum Himmel auf. »Dieser Fehler kostet uns vielleicht …«
Er legte einen Finger auf ihre Lippen. »Denk gar nicht erst daran.« Der Mond war hinter den windschiefen Behausungen verborgen. Ein paar Häuser von ihnen entfernt erkannte Cheftu ein verlassenes Gebäude ohne Dach. Er packte Chloe an der Hand, und sie liefen darauf zu. Drinnen stiegen sie die brüchige Treppe hinauf und blickten nach oben.
»Es wird spät«, sagte er. »Bald wird Thutmosis Moshe zu sich rufen und ihm befehlen, in die Wüste zu ziehen. Bis dahin müssen wir bei den Israeliten sein. Das ist unsere einzige Chance, hier herauszukommen.« Er sah nach unten in die schwarze Straße.
»Bestimmt würde uns jemand für eine Nacht Obdach geben«, schlug Chloe vor.
Cheftu sah sie an: In ihrem blauen ägyptischen Kleid, über dem eine rosenbespitzte Brust hervorlugte, mit seinem Hochzeitsarmband um ihr Handgelenk und dem einen Ohrring sah sie aus wie Hathor selbst. »Für sie sind wir Ägypter.«
Chloe nickte traurig. Sie schaute zum Himmel auf, und Cheftu sah ihre Augen vor Entsetzen glasig werden.
Er wirbelte herum und spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich.
Wie ein phosphoreszierendes Spinnennetz breitete sich die herabsinkende Dunkelheit über die Stadt, lief in unzähligen Fäden über den Mond und sank dann nieder, bis sie ganz allmählich Himmel und Sterne bedeckte, so weit das Auge reichte. »Es ist ein Netz des Todes«, flüsterte Chloe.
Er packte ihre Hand, sie stolperten die Treppe hinunter, die Angst ließ sie straucheln. Dann flohen sie aus dem düsteren Apiru-Viertel, über den Marktplatz hinweg zu ein paar alten Verkaufsständen, die kaum mehr waren als windschiefe Verschläge, aber zumindest notdürftig Schutz boten.
Cheftu schubste sie in einen hinein und befahl ihr, ganz hinten zu bleiben.
»Nein! Du bist derjenige, der in Gefahr ist! Laß mich das machen!« Nachdem sie wertvolle Sekunden mit Streiten verloren hatten, tauschten sie die Plätze.
Chloe rannte zu einem Müllhaufen direkt beim Apiru-Viertel. Dort lagen zahllose blutfleckige Äste, von denen sie mehrere zusammenlas. So beladen rannte sie zurück über den menschenleeren Markt und verlief sich prompt, als sie aufblickte und sah, daß der Mond fast völlig von den Fäden überzogen war und sein grausiges rotes Leuchten von dem Netz noch zusätzlich erhellt wurde.
Qualvolle Minuten später fand sie den Verschlag und versuchte vergeblich, etwas von dem verbliebenen Blut auf die Türstöcke zu streichen. Es war völlig eingetrocknet. Chloe geriet in Panik. Cheftu konnte jeden Augenblick sterben.
»Chloe«, rief ihr Cheftu zu, »du mußt sie gegen den Rahmen lehnen.«
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