Time-Travel-Triologie 01 - Die Prophetin von Luxor
einzeln stehenden Steinbahren, damit den Priestern genug Platz für ihre Arbeit blieb. Sie widmeten sich tagsüber den Leichen und entnahmen die Organe: erst das Gehirn, dann, nach einem Bauchschnitt, alle Eingeweide, abgesehen vom Ab , dem Herzen.
Der Geruch nach Weihrauch und Bitumen war ekelerregend, und der Mann fragte sich, ob er ihn je wieder aus seiner Nase und seiner Brust bekommen würde. Der bärtige Diener, dem seine Religion verbot, einen Leichnam zu berühren, folgte dichtauf. Sie hatten keine Wahl. Dafür hatte ein unerwartetes Versprechen auf dem Totenbett gesorgt.
Der Leichnam befand sich wahrscheinlich nicht mehr hier; sie gingen weiter in einen zweiten Raum. Ätzender Natrongestank schlug ihnen entgegen, und der Mann schmeckte sein vor Stunden verzehrtes Abendessen im Mund. Dicht nebeneinander standen tiefe Kisten mit dem teuren Trockensalz, das die Leichen darin vollkommen bedeckte, um das Fleisch auszutrocknen und haltbar zu machen.
Eilig schlichen sie zum Mumienraum weiter.
Hier müßte sich der Leichnam befinden, mitsamt den intakten Organen, und zwar nachdem er einige Zeit in Natron gelegen hatte, damit das menschliche Fleisch nicht verrottete. Der Mann drehte sich zur Seite, zündete seine Fackel an und beleuchtete damit die in hieratischer Schrift angebrachten Namen der Bewohner dieser Mumienwelt. Er blieb stehen. Der Leichnam war hier. Unter leise gemurmelten Gebeten hoben er und der bärtige Diener den Leichnam heraus und trugen ihn zu einer nahen Tür, durch die man auf eine schmale Gasse kam.
Dann eilten sie wieder nach vorn, um die Überreste eines namenlosen Bauern hereinzuholen, der auf diese Weise in der Nachwelt als wohlhabender Geschäftsmann leben würde. Der Mann hielt die Fackel hoch – er hatte gute Arbeit geleistet, als er den Leichnam des Bauern in Leinen gewickelt hatte, es sollte also niemand Fragen stellen. Da die Eingeweide nicht entnommen waren, würden sich die Priester auch nicht an dem Verrottungsgestank stören.
Er löschte das Licht, dann flohen sie von diesem Ort des Todes und trugen die Leiche den Wadi hinauf, an der Stadt der Toten vorbei und tief ins Reich Meret Segers: »Sie, die Stille liebt«, die Wächterin des Tals der Könige.
Nach stundenlanger Wanderung traten sie in eine kleine Höhle, ein Loch in der Erde. Hastig legten sie den Leichnam auf dem Boden ab und bedeckten ihn mit Staub und OstrakaScherben. Der Bärtige beobachtete, wie sein Begleiter eigenartige Gesten über dem Grab ausführte und in einer so fremden Sprache flüsterte, wie er sie oder ihresgleichen noch nie vernommen hatte. In seinem Herzen betete er für die Seele seines verstorbenen Herren. Als der Mann zum Ende gekommen war, bedeutete er dem Sklaven, ihm voran aus der Grabkammer zu gehen. Im letzten Fackellicht zog der Mann einen Ankh mit gebrochener Schlaufe heraus, wodurch das Zeichen wie ein Kreuz aussah, und schob ihn unter die Ostraka.
»Memento, homo quia pulvis es, et in pulverem revertis. Allez avec Dieu, mon ami.«
Er bekreuzigte sich und verließ, wieder als Ägypter, das dunkle Grab.
Das Mädchen erhob sich aus dem Bett seiner Geliebten und entfernte sich aus dem Blick, in dem sie solche Leidenschaft gesehen hatte. Die Zeit der Trennung war gekommen. Das Mädchen biß sich auf die Lippe und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Bis in die früheste Kindheit zurück reichte ihre Erinnerung an die beiden Priesterinnen: eine gütige und eine grausame. Ihr ganzes Leben hatte sie der einen voller Furcht gedient und war der anderen voller Liebe gefolgt. Ihre Herzensschwester hatte sie angeleitet und unterwiesen. Sie hatte sie gerettet, und ihr schuldete die junge Frau das Leben.
Darum geschah das winzig kleine Opfer, das sie bringen würde, zum Ruhme Ägyptens. Schreckliche Katastrophen waren geweissagt worden. Ihre Herzensschwester sagte, sie könnten nur abgewendet werden, wenn die Priesterschaft und der Thron gereinigt würden. Das Mädchen würde, obwohl es an einem weniger heiligen Tag geboren war, am Kreis der Abwehr teilhaben. Konnte sie eine größere Gnade erbitten? Sie schluckte und wischte sich vergebens mit den Fingern unter den Augen entlang, während sie ihre Waschungen durchführte.
»Du verstehst doch, oder nicht?« fragte ihre Geliebte, die das Mädchen beobachtete. »Sie ist von Hathor auserwählt. Aber falls sie ihre Gelübde gebrochen hat und den Sproß eines Dämons in sich trägt, mußt du Sechmet werden! Er muß vernichtet werden, um jeden
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