Timeless: Roman (German Edition)
Michele.
»Du bist wunderschön, Liebes«, sagte Dorothy leise und studierte ihre Gesichtszüge. »Genau, wie ich es erwartet hatte.«
Verlegen schaute Michele zu Boden. »Danke«, murmelte sie.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange dein Großvater und ich auf diesen Moment gewartet haben«, fuhr Dorothy fort. »Doch wir wünschten, wir würden uns nicht unter so schrecklichen Umständen kennenlernen.«
Walter schaute sie an, als sähe er einen Geist. »Du siehst ihr so ähnlich.«
Michele fühlte sich außerstande, etwas zu erwidern. Sie starrte nur diese Fremden an, und Dutzende Fragen, die sie nicht laut zu stellen vermochte, wirbelten ihr im Kopf herum. Nach ein paar Augenblicken des Schweigens legte Dorothy vorsichtig eine Hand auf Micheles Schulter.
»Nun, du musst von der Reise müde sein. Annaleigh wird dich nach oben in dein Zimmer bringen, damit du es dir bequem machen kannst. Wir werden dann später zusammen zu Abend essen.«
»Oh. Okay.« Michele schaute hoch und bemerkte, dass Annaleigh die ganze Zeit über an der Tür gestanden hatte. Offensichtlich hatte sie erwartet, dass das große Wiedersehen nur ein paar armselige Minuten dauern würde.
Schmerzlich getroffen verließ sie den Raum und folgte Annaleigh. Stellten sich ihre Großeltern das unter einer herzlichen Begrüßung vor?
3
M it einem freundlichen Lächeln wandte sich Annaleigh Michele zu. »Soll ich dir das Haus zeigen, bevor ich dich zu deinem Zimmer bringe?«
»Gern. Danke.« Michele folgte Annaleigh in den gegenüberliegenden Korridor. Er war mit Wandteppichen geschmückt, die von Kronleuchtern angestrahlt wurden.
»Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber sämtliche Möbel im Salon sind Reproduktionen von Stücken aus Versailles’ Petit Trianon«, verkündete Annaleigh stolz, während sie vorausging. »Wie einige der besten Häuser aus dem Vergoldeten Zeitalter wurde auch Windsor Mansion wie ein italienischer Palazzo erbaut und eingerichtet wie ein französisches Rokokoschloss.«
»Wow.« Michele schüttelte den Kopf. Sie konnte kaum fassen, dass all dies Wirklichkeit war.
Die erste Tür, die Annaleigh öffnete, führte in einen Raum in Pastellblau mit vergoldeten Leisten, in der Mitte stand eine Essgarnitur aus Mahagoni. »Das hier ist das Frühstückszimmer.«
»Echt? Ihr habt einen Raum nur zum Frühstücken?«, fragte Michele ungläubig.
Annaleigh kicherte. »Nein, nicht ganz. Natürlich früh stücken die Windsors immer in diesem Raum, aber Frühstückszimmer werden traditionell auch zum Mittagessen, Tee und allen anderen zwanglosen Zusammenkünften während des Tages genutzt.«
Dieses Zimmer hat überhaupt nichts Zwangloses , dachte Michele, während sie Annaleigh in den nächsten Raum folgte, die in Nussbaumholz getäfelte Bibliothek. Beim Anblick dieses Büchertempels spürte Michele, wie sich zum ersten Mal seit Wochen der Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht zeigte. Sie spazierte durch den Raum und ließ ihre Augen über einige der Titel der in Leder gebundenen Bände wandern, die die bis zur Decke reichen den Bücherregale füllten. Auf dem Deckengemälde waren Engel dargestellt, darunter glitzerten Baccarat-Kronleuch ter. Wände und Tische waren aus dunklem Mahagoni, und die im Raum verteilten Ohrensessel und Lehnstühle aus dunklem Plüschleder schienen wie geschaffen, um es sich mit einem Buch darin gemütlich zu machen.
»Komm, ich möchte dir den Ballsaal zeigen. Das ist mein Lieblingsort im gesamten Haus«, sagte Annaleigh aufgeregt.
Als sie den Saal betraten, wurde Micheles Gänsehautgefühl noch stärker, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Bedächtig wanderte sie durch den Raum. Der Saal mit seinem romantischen elfenbeinfarbenen Dekor, der glänzenden Tanzfläche, den Kronleuchtern aus Bronze und Kristall und den hohen römischen Säulen schien einem Edith-Wharton-Roman zu entstammen. An einem Ende des Raums stand ein Steinway-Flügel unter einem vergoldeten Balkon.
»Die vornehmsten Ballgäste saßen früher dort oben auf dem Balkon und beobachteten die Tänzer«, sagte Annaleigh verträumt. »Ist das nicht unglaublich?« Michele antwortete nicht, und Annaleigh schien ihren seltsamen Gesichtsausdruck zu bemerken. »Was ist los, meine Liebe?«
»Es ist nur …« – Michele schluckte hart – »… ich werde das Gefühl nicht los, dass ich schon mal hier gewesen bin . Aber ich weiß, dass das nicht sein kann.«
»Wie seltsam. Vielleicht hast du Ballsäle wie diesen
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