Timeless: Roman (German Edition)
alberne Tradition abschaffen, meinen Sie nicht auch?« Philip lächelte. »Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht einen Picknickkorb zurechtmachen? Und bitte genug Essen für zwei, denn ich habe heute Abend einen Bärenhunger.«
Michele grinste. Ein Picknick zur Jahrhundertwende, was für eine geniale Idee!
»Ist es nicht schon zu spät für ein Picknick?«, fragte die Köchin. »Ich weiß nicht, ob Ihr Onkel …«
»Oh, ich brauche einfach etwas frische Luft und Zeit zum Nachdenken«, erwiderte Philip flink. »Und es ist wirklich nicht nötig, dass Sie meinen Onkel darüber informieren.«
»Gut, in Ordnung«, stimmte die Köchin zu. Sie stellte schnell einen Korb zusammen, während Philip allerlei Vorschläge machte: »Den besten Käse, Salami und frisches Brot – oh, und nicht zu vergessen, Schokoladentrüffel.«
Nachdem der Picknickkorb bis obenhin voll war, rann ten Michele und Philip die Treppe zu den Haupträumen des Herrenhauses hinauf. Eng aneinandergeschmiegt gingen sie hinaus in die stille, sternenübersäte Nacht in Richtung Central Park. Michele war ganz benommen von all den Sinneseindrücken und fasziniert von dem Anblick des alten New York bei Nacht. Philips Anwesenheit und sein Duft berauschten sie.
Sie kamen am Plaza Hotel mit seinen zwanzig Stockwerken und dem smaragdgrünen Dach vorbei. An der Fifth Avenue betraten sie den Park durch das Scholar’s Gate. Micheles Herz klopfte zum Zerspringen, und sie war sehr gespannt, wie der berühmte Park vor hundert Jahren ausgesehen hatte.
Die pittoreske idyllische Landschaft war genauso, wie Michele sie kannte – weite, wellige Wiesen, die in Kon trast standen zu einem waldigen, wilden, als Ramble bekannten Wandergebiet und der Mall, einer gepflegten Promenade. Sie entdeckte auch Belvedere Castle, das be rühmteste Denkmal des Parks, das im viktorianischen Stil auf Fels erbaut worden war, und den so vertrauten See. Doch die Stille und Einsamkeit im Park ließen ihn fast unwirklich erscheinen. Nicht einmal in einem der vielen Filme, in denen der Central Park vorkam, hatte Michele ihn jemals so menschenleer gesehen. Heute Abend sah es ganz danach aus, als seien sie die einzigen Besucher.
»Er ist wie unser ureigener Zufluchtsort«, sagte Michele verwundert zu Philip.
Nirgendwo im Park waren Spielplätze oder Bootshäuser zu sehen, und auch der Große Rasen in der Mitte des Parks fehlte. Das alles war damals noch nicht angelegt , wurde Michele klar.
Philip ging ihr zum grasbewachsenen Cherry Hill voran, der das östliche Ufer des Sees und die romantische gusseiserne Bow Bridge, ein besonderer Blickpunkt in vielen Filmen über Manhattan, überragte. Während Philip eine Decke auf dem Rasen ausbreitete, bewunderte Michele den Springbrunnen in der Mitte des Hügels, ein Becken aus Granit, aus dem sich ein Turm mit einer goldenen Spitze und runden Lampen erhob.
»Was fasziniert dich denn so?«, kicherte Philip und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, neben ihm Platz zu nehmen.
»Ich … ich kann einfach nicht glauben, dass ich hier mit dir bin. Ich möchte mir jede Einzelheit einprägen, damit ich mich jederzeit daran erinnern kann«, erwiderte Michele schüchtern.
Philip lächelte sie an. »Warum schreibst du es nicht auf?«
Micheles Wangen färbten sich rosig. »Komisch, dass du das sagst.«
»Warum?«, wollte Philip wissen.
»Weil ich … tatsächlich schreibe. Schon als kleines Mädchen habe ich Gedichte und Liedtexte verfasst. Mein geheimer Traum ist es, professionelle Songschreiberin für Sänger und Broadway Shows zu werden«, gestand Michele lächelnd. »Aber ich habe keine Ahnung, ob ich begabt genug dafür bin. Meine Mom war die Einzige, der ich meine Ergüsse jemals gezeigt habe, und sie war begeistert. Aber das war sie wohl, weil sie meine Mom war.«
»Du machst das bestimmt hervorragend«, ermutigte Philip sie. »Du hast die Seele eines Poeten, so wie du die Dinge siehst und verstehst, auch Dinge, die hundert Jahre zurückliegen. Deine Texte sind ganz bestimmt großartig.«
Michele spürte, wie ihr warm ums Herz wurde. »Seit dem Tod meiner Mom habe ich nichts mehr geschrieben«, sagte sie plötzlich. »Nur sie kannte meine Texte. Es war … unser Ding. Als sie starb, hatte ich das Gefühl, auch mein Schreibtalent verloren zu haben – ich war total blockiert. Aber seit ich dich getroffen habe … ist es zurückgekehrt.«
»Wirklich?« Philips Augen leuchteten. Er berührte ihre Wange.
»Was hast du denn geschrieben?«
»Den
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