Timeless: Roman (German Edition)
Kraft, die uns zusammengeführt hat, uns auch helfen kann, zusammenzubleiben. Und bis wir eine Dauerlösung gefunden haben, genießen wir diese Augen blicke. So viele Menschen machen diese Erfahrung nie … in meiner Zeit kommt dies selten vor. Auch wenn es vielleicht nicht so aussieht … wir haben Glück.«
Michele lächelte: »Du hast so recht.«
Hand in Hand verließen sie die Bethseda Terrace und betraten die majestätische, dreispurige große Promenade. Als sie unter dem Baldachin überhängender amerikanischer Ulmen dahinschlenderten, beugte sich Philip zu ihr, um sie zu küssen. Michele konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln, und auch das prickelnde Gefühl blieb.
Als sie zum Walker Mansion zurückkehrten, führte Philip sie ins Musikzimmer. Er zündete ein paar Kerzen an und deutete mit einer Geste an, dass sie sich neben ihn auf die Klavierbank setzen sollte. »Kann ich jetzt deine Texte hören?«
Michele lachte nervös. »Ich weiß nicht so recht, ich habe meine Texte nur meiner Mom gezeigt, sonst niemandem …«
»Bitte, ich möchte sie so gern hören.« Er nahm ihre Hand und verschränkte seine Finger mit ihren.
»Hm … na gut.« Michele starrte auf den Boden und rezitierte mit hochroten Wangen. Er wird sicher denken, dass ich völlig besessen von ihm bin , dachte sie verlegen. Als sie am Ende angelangt war, starrte sie noch immer zu Boden. Doch dann hob er ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu blicken.
»Genau das empfinde ich auch«, flüsterte er. »Aber nur du hast das Talent, meine Gefühle in Worte zu fassen.«
Als er sie küsste, glaubte sie, vor Glück platzen zu müssen. Als sie schließlich ihre Lippen voneinander lösten, beide lächelnd und mit geröteten Wangen, sagte Michele: »Glaubst du, du könntest die Texte vertonen?«
Er grinste und griff gekonnt in die Tasten. »Versuchen wir’s, ja?« Und er begann zu spielen, experimentierte mit verschiedenen Melodien, bis er eine fand, die perfekt zu passen schien – »Bring die Farben zurück«: eine bluesarti ge, seelenvolle getragene Melodie in Moll. Die gefühlvolle Musik erinnerte Michele ein wenig an Ray Charles. Obwohl Philip sie im Jahr 1910 spielte, konnte sie sich mühelos vorstellen, dass das Lied 2010 im Radio lief. Michele lauschte verträumt und summte mit.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, wurde die Musik immer schwächer. Michele blickte hoch und sah, wie Philip und das Musikzimmer vor ihren Augen verschwammen. Philips Mund öffnete sich in einem stummen Schrei. Er streckte die Hand nach ihr aus, und Michele versuchte verzweifelt, sie zu ergreifen. Doch dann war er verschwun den, und es gab nur noch die moderne, helle Küche, in der sie stand.
Ich bin wieder in Caissies Apartment , dachte sie. Warum wurde ich aus dieser perfekten Nacht herausgerissen?
Sie ließ den Blick durch die Küche schweifen, doch zum Glück war sie allein. Dann entdeckte sie ein Fenster, das groß genug war, um sich hindurchzuzwängen, und weit genug unten, um hinausspringen zu können, ohne sich zu verletzen. Bevor Michele das Fenster öffnete, warf sie einen Blick auf die Digitaluhr auf dem Kamin. Sie holte tief Luft. Es war kurz vor halb elf – ihrer Sperrstunde.
Sie hob die Kette mit dem Generalschlüssel hoch und betrachtete sie forschend. Kontrolliert jemand – oder etwas – meine Zeitreisen? , fragte sie sich plötzlich verwundert. Es schien, als kehrte sie fast immer gegen ihren Willen ins Jahr 2010 zurück. Sie musste einen Weg finden, die Rückreise selbst zu steuern.
Während sie zum Windsor Mansion zurückging, grübelte sie: Wer oder was ist der Drahtzieher von all dem?
Die Antwort interessierte sie brennend. Sie musste dafür sorgen, jederzeit zu Philip gelangen zu können.
Am nächsten Morgen legte Michele während des Geschichtsunterrichts den Kopf aufs Pult und kämpfte darum, in Mr. Lewis’ Stunde nicht einzuschlafen. Letzte Nacht hatte sie kein Auge zugetan: Immer wieder ließ sie den unglaublichen Abend mit Philip vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Doch dann sagte Mr. Lewis etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte.
»Wie ihr wisst, findet unsere Exkursion nach Newport, Rhode Island, in zwei Wochen statt. Wir werden die historischen Herrenhäuser besichtigen, die New Yorks ersten Familien gehörten, und bekommen somit einen un mittelbaren Eindruck von der damaligen Lebensweise.« Seine Stimme verriet große Begeisterung. »Traditionsgemäß werden wir übers Wochenende im Hotel Viking absteigen. Ich werde
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