Timeless: Roman (German Edition)
rieb sich die Stirn.
Jemand holte tief Luft und blickte hoch. Sie war Philip in die Arme gelaufen. Steif hielt er sie fest und starrte ihr verblüfft ins Gesicht.
»Wer sind Sie ?« , fragte er. »Woher kommen Sie?«
»Ich kann es Ihnen … jetzt nicht sagen«, stammelte Michele. »Ich muss gehen.«
»Bitte, gehen Sie nicht«, protestierte Philip. »Sagen Sie mir, wie Sie heißen.«
Doch Michele machte kehrt und rannte die Treppe hinunter. Sie durften sich erst in drei Jahren wiedersehen!
Während sie hinunterrannte, hörte sie Schritte hinter sich, und eine Hand schloss sich um ihr Handgelenk. Doch der Griff lockerte sich plötzlich wieder. Michele stieß einen erstaunten Schrei aus, sie rannte buchstäblich durch die Zeit. Die Treppe über ihr und das Geländer stammten aus dem Jahr 1907, und der fünfzehnjährige Philip blickte sie verzweifelt an. Die Treppe unter ihr und der Boden stammten aus dem Jahr 2010. Am Ende der Treppe wartete Caissie auf sie und beobachtete sie besorgt.
»Was ist geschehen?«, fragte sie, als Michele bei der letzten Stufe angelangt war.
»Ich erzähl’s dir später, ich muss unbedingt hier raus«, erwiderte Michele atemlos. »Kannst du bitte Mr. Lewis ausrichten, mir sei schlecht geworden, und ich musste ins Hotel zurück?«
Caissie nickte. »Bist du sicher, dass du allein zurechtkommst?«
»Ja, ich muss nur hier raus.«
Beim Hinauslaufen fiel Michele ihre erste Begegnung mit Philip ein: »Du bist es gewesen – du warst das Mädchen, das ich vor drei Jahren in meinem Sommercottage gesehen habe …«
Philip hatte also recht gehabt. Er hatte sie tatsächlich Jahre vor dem Ball gesehen.
Auf der Rückfahrt nach New York am folgenden Abend saß Michele starr auf ihrem Platz und fror. Unvorstellbar, wie sehr sich die Umstände seit ihrer Zugfahrt vor zwei Tagen verändert hatten. Damals war sie voll und ganz von dem Gefühl der Verliebtheit erfüllt gewesen. Jetzt war sie benommen vor Schmerz angesichts der Aufgabe, die sie in New York erwartete.
Sie hatte sich nach Kräften bemüht, während des restlichen Schulausflugs den bevorstehenden Bruch mit Philip aus ihren Gedanken zu verbannen, denn sie wusste, dass dies die einzige Möglichkeit war, das Wochenende zu überstehen. Aber jetzt, wo sie sich auf der Heimfahrt befanden, Caissie im Tiefschlaf neben ihr, erlaubte Michele es sich, ihren Gedanken nachzuhängen. Sie dachte an Claras Mutter Alanna. Hatte sie so empfunden, als sie George Windsor aufgeben musste? Michele sehnte sich entsetzlich nach ihrer Mutter. Sie hätte sie so dringend gebraucht.
Als sie in der Penn Station einfuhren, teilten sich Caissie und Michele ein Taxi für den Heimweg. Michele folgte Caissie in ihr Mietshaus, das Gesicht aschfahl. Als sie in Caissies Zimmer angelangt waren, bot Caissie ihr an, sie eine Weile allein zu lassen. »Ich geh inzwischen zu meinem Dad und berichte ihm von unserem Ausflug. Und ich werde deine Großmutter benachrichtigen, dass du über Nacht bei uns bleibst. Weißt du, für den Fall, dass du eine Weile … du weißt schon, dort sein möchtest.«
»Danke.« Michele schluckte schwer.
Caissie umarmte sie fest. »Du tust das Richtige.«
Kaum war Michele allein, holte sie Philips Visitenkarte aus der Tasche. Sie trug sie immer bei sich. Sie schloss die Augen, hielt ihren Schlüssel an der Kette fest umklammert und bat die Zeit, sie zu ihm zurückzubringen.
In Sekundenschnelle verwandelte sich Caissies Zimmer vor Micheles Augen in alle möglichen unterschiedlichen Räume, bis sie sich in Philips Schlafzimmer befand. Er saß an seinem Schreibtisch und sprang hoch, als er sie erblickte.
»Michele!« Er wirbelte sie herum und küsste sie zärtlich. »Ich habe dich vermisst.«
Michele erwiderte seinen Kuss, und es fühlte sich so himmlisch an, dass die Vorstellung, ihn nie wieder zu küssen, nie wieder mit ihm zusammen zu sein, ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie löste sich von ihm.
»Michele, was ist los? Warum weinst du?« Philip nahm ihre Hände und betrachtete sie besorgt.
»Philip, ich muss dir etwas sagen und es fällt mir … sehr schwer.«
Philip ließ sie los und sank auf den nächsten Stuhl. Er ahnte wohl, was kommen würde.
»Ich muss mich verabschieden«, sagte Michele und spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. »Ich liebe dich, aber … ich muss in meiner eigenen Zeit bleiben und du in deiner.«
Das Blut wich aus Philips Gesicht. »Nein, das meinst du nicht ernst, das kannst du nicht tun. Wir gehören
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