Timeless: Roman (German Edition)
nicht.«
»Ich verstehe nicht, was passiert ist. Warum konnte ich nicht zu ihm zurückkehren?« Michele vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte herzerweichend. »Er hätte so viel bewirken können. Er war auf dem Weg, die Welt mit seiner Musik zu verändern.«
»Du liebst ihn wirklich, oder?«, fragte Caissie.
»Natürlich liebe ich ihn«, schluchzte Michele.
»Dann weißt du, was du zu tun hast.«
Michele nickte, brachte aber keinen Ton hervor.
»Du musst ihn gehen lassen«, sagte Caissie bestimmt. »Das ist die einzige Möglichkeit. Du musst … irgendwie musst du ihm all dies erklären und deine Beziehung zu ihm beenden, so schnell wie möglich, damit er noch eine Chance hat, weiterzuleben. Wenn du es tust, kannst du vielleicht die Vergangenheit verändern und ihn retten.«
»Macht es dir etwas aus, mich allein zu lassen?«, fragte Michele benommen. »Ich muss einfach kurz für mich sein.«
»Okay.« Caissie umarmte Michele und verließ dann den Raum.
Michele sank zu Boden. Sie wusste, dass Caissie recht hatte, doch der Gedanke war unglaublich schmerzhaft. Wie konnte sie den einzigen Menschen auf der Welt, der ihr wirklich etwas bedeutete, aufgeben, den einzigen Menschen, der sie wirklich liebte? Niemand würde sie künftig aufmuntern, niemand ihr die Dinge erträglicher machen, wenn ihr Kummer wegen ihrer Mutter übermächtig wurde. Wenn ich es tue, werde ich einsamer sein denn je , überlegte Michele. Und wie konnte sie es ertragen, ihm das Herz zu brechen, ihn zu verlassen, wo sie doch wusste, wie sehr er sie liebte?
»Ich bringe es nicht übers Herz«, flüsterte Michele. Sie wollte aufstehen und das Zimmer verlassen, doch irgendetwas ließ sie nicht los. Immer wieder gingen ihr Judys Worte durch den Kopf – das schreckliche Schicksal, das Philip erleiden musste, allein wegen Michele.
Ich kann nicht zulassen, dass ihm das widerfährt, dachte Michele. Liebe bedeutet, den anderen an die erste Stelle zu setzen, und genau das muss ich tun. Ich kann nicht zulassen, dass er sich mit dieser jahrelangen Warterei auf mich quält. Ich kann nicht zulassen, dass er seine Träume und sein Leben aufgibt. Ich muss ihn dazu bewegen, weiterzumachen. Ich muss ihn retten. Auch wenn ich ihn noch so sehr vermissen werde, mir geht es gut, wenn ich weiß, dass er weiterlebt.
Sie umfasste ihren Schlüssel an der Kette und schloss die Augen. »Bitte, bring mich zu Philip zurück, ich muss mich von ihm verabschieden.«
»Phil! Das Boot ist da!«, rief eine aufgeregte junge Stimme.
Michele riss die Augen auf und sprang hoch. Ein kleiner Junge in einem Matrosenanzug platzte ins Zimmer und runzelte enttäuscht die Stirn, als er feststellte, dass Philip nicht im Zimmer war. Und natürlich konnte er Michele nicht sehen, die sich abstützte und den Atem anhielt.
Michele folgte dem Jungen aus Philips Zimmer und war erneut in ein Tableau des Lebens im Vergoldeten Zeitalter versetzt. Die Residenz der Walkers in Newport war funkelnagelneu. Diener in Uniform eilten mit wichtigen Mienen hin und her. Sie folgten den Anweisungen ihrer Herrschaften und achteten darauf, dass im Haus alles perfekt war.
Ein Mann Anfang vierzig stand oben an der Treppe. Er hatte den Arm um einen Jungen mit dichtem dunklen Haar und den schönsten blauen Augen der Welt gelegt …
O Gott, es war Philip. Doch war sie zur rechten Zeit gekommen? Dieser Junge hier sah viel jünger aus …
»Phil, das neue Boot ist da!«, rief der kleine Junge und hüpfte auf und ab.
Der Mann neben Philip zerzauste das Haar des kleinen Jungen und kicherte. »Siehst du, Philip, dein Cousin ist wohl noch begieriger als ich, dir das neue Schiff der Walkers zu zeigen. Habe ich dir nicht gesagt, dass es das schönste ist?«
Philip grinste. »Hast du bestimmt, Vater.«
Vater? Michele war überrascht. In welchem Jahr war sie gelandet? Sie rannte zurück in Philips Zimmer und kramte in seinen Sachen auf dem Schreibtisch, bis sie einen Kalender fand. Er war im Juli 1907 aufgeschlagen.
Entsetzt starrte Michele auf den Kalender. Wie war sie in das Jahr 1907 gelangt, in eine Zeit, in der Philips Vater noch am Leben war und Philip sie noch nicht kannte? Er konnte sie nicht kennen. Es würde ihre Beziehung völlig auf den Kopf stellen, wenn er sie jetzt kennenlernte, viel zu früh. Das könnte alles kaputt machen! Sie musste unbedingt hier raus und in ihre eigene Zeit zurückkehren.
Als Michele zur Tür hinauseilte, prallte sie mit jemandem zusammen. »Aua«, stöhnte sie und
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